Herrn Mellage einen Vorwurf machen könnte, dann wäre es höchstens in dem Falle Enderlein. Aber abgesehen davon, daß Herr Polizeisekretär Enderlein den Strafantrag zurückziehen würde, wenn es sich tun ließe – der Regierungspräsident hat bekanntlich den Strafantrag für ihn gestellt –, so hat Herr Enderlein erklärt, daß er sich nicht beleidigt fühle, da ihm in der Broschüre der Vorwurf der passiven Bestechung gar nicht gemacht worden sei. Daß Herrn Mellage der Schutz des § 193 des Strafgesetzbuches zur Seite steht, kann einem Zweifel nicht unterliegen. Er hatte einmal ein persönliches und zweitens das Interesse des Herrn Forbes wahrzunehmen. Wer anders als Herr Mellage war berufen, Herrn Forbes zu schützen? Mellage hatte außerdem aber auch ein Allgemeininteresse zu wahren. Wenn auch durch eine Reichsgerichtsentscheidung der Presse das Recht der Kritik sehr beschränkt worden ist, so ist ihr doch gestattet, öffentliche Mißstände zu kritisieren. Dafür ist eigens der § 193 geschaffen worden. Der § 193 des Strafgesetzbuches soll es ermöglichen, öffentliche Mißstände ungestraft rügen zu dürfen. Eine Überschreitung dieser Grenze ist nur vorhanden, wenn aus der Form oder den Umständen die Absicht der persönlichen Ehrenkränkung hervorgeht. Dies ist jedoch weder aus den inkriminierten Artikeln, noch aus der Broschüre zu entnehmen. Die Menschheit muß es Herrn Mellage danken, daß er Scheußlichkeiten aufgedeckt hat, wie man sie in unserem Vaterlande für unmöglich halten sollte. Ohne die Energie und das furchtlose Vorgehen des Herrn Mellage würden die hilflosen Kranken in Mariaberg wohl noch sehr lange in der hier vorgeführten Weise mißhandelt worden sein. Die Welt würde es daher nicht verstehen, wenn deshalb Herr Mellage und die beiden Herren, die ihn in seinem hochedlen Werke unterstützt haben, bestraft werden würden. Auch nur die geringste Geldstrafe würde die Gegenpartei als einen Sieg für sich bezeichnen. Ich hoffe, der hohe Gerichtshof wird den rocher de bronze
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/138&oldid=- (Version vom 31.7.2018)