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jederzeit angelaufen, und der Segen einer göttlichen Leitung durch die Hand des Seelsorgers gibt sich deutlich kund. Wer die ihm gebotenen Mittel der Leitung nicht benützt, der entbehrt zu seinem großen Schaden dieses Segens. Er wird desto öfter fehl gehen und statt in hellem Licht in einer Art Dämmerung sein Leben dahinbringen.


§ 70.
Die Askese.

 Die individuelle Freiheit des Christen ist nicht bloß die Erlaubnis und Berechtigung zum Genuß und Gebrauch des Erlaubten, sondern auch das Recht zur Enthaltung vom Genuß, zum Verzicht auf den Gebrauch, zur freiwilligen Enthaltung von irdischen Gütern und Dingen. Die individuelle Freiheit hat gewissermaßen zwei Provinzen: das Gebiet des Gebrauchs und das Gebiet der Verzichtleistung auf den Gebrauch. Von der Freiheit des Gebrauchs irdischer Dinge ist bereits im Vorigen gesprochen worden. Die Lehre von den evangelischen Ratschlägen bildet den Übergang von dem einen Lehrstück zum andern.

 a. Unter Askese versteht man die freiwillige Enthaltung von an und für sich erlaubten Genüssen und Gütern, zu dem Zweck, um sich in der Enthaltsamkeit und Unabhängigkeit von sinnlichen Genüssen und in der Gottseligkeit zu üben.

 Das Wort ἄσκησις selbst steht nicht in der Schrift. 1. Tim. 4, 7–8, wo man es erwarten könnte, heißt es γυμνασία.

 Nach der Conf. Aug. Art. XXVI hat die Askese den Zweck:

 1. Den Leib in Zucht und Zaum zu halten, daß das Fleisch nicht üppig und dadurch eine Reizung zur Sünde werde. Das ist Kasteiung im engern Sinne (castigatio, 1. Kor. 9, 27; castigo corpus meum). Daher gehört Fasten, Nachtwachen etc. etc.

 2. Die Herrschaft der Seele über den Leib, die Unabhängigkeit der Seele vom Leib und leiblichen Bedürfnissen zu erringen, so daß der Leib ein gefügiges Werkzeug der Seele wird (ut corpus habeat obnoxium, Aug. Conf. Art. XXVI, 38).

 3. Leib und Seele geschickt zu machen zu geistlichen Dingen (ad res spirituales), d. i. zur Andacht, Meditation, Gewissenserforschung, Gebet, Fürbitte, 1. Kor. 7, 5.

 In dem Wort selbst liegt schon die Regelmäßigkeit und Stetigkeit, die fleißige Wiederholung und methodische Betreibung einer und derselben Handlungsweise angedeutet; denn selbstverständlich gewinnt