dem grössten von ihnen, bei Rembrandt, ist das eigentümlichste, das völlig neue in der Behandlung des Helldunkels rein das Produkt einer tief im Wesen seiner künstlerischen Individualität begründeten Phantasiestimmung.
Der eigentlich bahnbrechende Meister der holländischen Malerei, der seine künstlerische Thätigkeit mehr als zwei Jahrzehnte vor Rembrandt begann, Frans Hals, ist in der dresdner Galerie nur mit zwei kleinen, aber höchst ausgezeichneten Gemälden, zwei männlichen Bildnissen vertreten, von denen das eine in unserm Werk wiedergegeben ist. Wer seine berühmten Meisterschöpfungen im haarlemer Museum, die grossen „Schützen- und Regenten-Stücke“ gesehn und mit Werken der früheren niederländischen Malerei verglichen hat, der hat mit einem Male erkennen können, mit welchem Riesenschritt Frans Hals zu einem vollendeten malerischen Realismus vorgedrungen ist. Er ist fast ausschliesslich Porträtmaler und als solcher dem Velazquez ganz nahe an die Seite zu stellen. Nächst der Schärfe der geistigen Auffassung ist es vor allem die staunenswerte Kunst im Herausbilden des räumlich und körperlich Wirkenden, in der er dem grossen spanischen Meister verwandt erscheint. Die stärkste derartige Wirkung erreicht er in den Werken seiner mittleren Zeit, nicht blos durch eine Tongebung, die auf der sichersten Beobachtung der Luft- und Lichtwirkungen beruht, wesentlich auch durch jene breite, unverschmolzene Art des Pinselstrichs, die bei ihm und bei Velazquez zu den Hauptmerkmalen ihrer voll ausgebildeten Technik gehört. Diese Behandlungsweise, an der man häufig nur die Kühnheit, das Bravourmässige zu rühmen weiss, ist bei Frans Hals, wie bei Velazquez nichts weniger, als Willkür oder virtuosenhafte renommistische Manier, sie ist in sehr bestimmten optischen Wahrnehmungen begründet. Brücke[1] hat nachgewiesen, wie die unverschmolzne Malweise – die genaue Abwägung der einzelnen Farbenwerte vorausgesetzt – wesentlich dazu beiträgt, den Eindruck des Körperhaften in der bildlichen Erscheinung zu erhöhen. Indem sich die auf der Bildfläche unvermittelt neben einander stehenden Farbenstriche im Auge des Betrachters bei genügendem Abstand von dem Bilde mit einander verschmelzen, steigert sich die Reliefwirkung des Bildes.[2]
Der realistischen Illusion dient bei Frans Hals und Velazquez in erster Linie auch die Tönung. Sie hat, wie immer, zugleich den Zweck künstlerischer Harmonisierung, vor allem aber ist sie auf die Erzeugung des vollen Scheines der Realität berechnet, sie dient vor allem dazu, die wirkliche Erscheinungsweise der Dinge wiederzugeben. Ein gewisser subjektiver Charakter ist allerdings auch bei Frans Hals und Velazquez in der Tongebung deutlich genug zu erkennen. Frans Hals stimmt die Farbe im allgemeinen heller und wärmer als Velazquez, bei dem ein kühler und ernster Farbenton durchaus vorherrscht. Das heitere Naturell des Holländers steht zu dem ernsten des Spaniers in einem sehr fühlbaren Gegensatz. Überdies ist ja bekannt, mit wie drastischer Kraft Frans Hals in zahlreichen Bildern, in denen die Porträtdarstellung ans Genreartige angrenzt, Gestalten voll ausgelassensten Humors und übermütigster Lebenslust so recht con amore geschildert hat; Vosmaer sagt, Niemand hat das Lachen so wahr gemalt, wie Frans Hals.[3]
Die beiden kleinen Gemälde des Meisters in der dresdner Galerie – sie bilden Gegenstücke zu einander – stammen aus jener mittleren Zeit seines Schaffens, in der er auf der vollen Höhe der Meisterschaft stand. Der stattliche junge Mann, den das hier abgebildete Porträt darstellt, ist offenbar,
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/100&oldid=- (Version vom 27.12.2024)