Ein Meisterstück an charakteristischem Ausdruck ist die Hauptfigur, die Braut Simsons im Mittelpunkte des Gemäldes, die den Blick zuerst auf sich zieht und zu der er immer wieder zurückkehrt. Stolz und regungslos sitzt sie da, die Hände unter der Brust gekreuzt, um ihre Umgebung völlig unbekümmert; der Gedanke, der sie beschäftigt, bringt ein eigentümliches Lächeln auf ihre Lippen, sie ist ihrer Macht über Simson sicher, sie wird ihn überlisten, die Lösung des Rätsels ihm ablocken, um sie den Philistern zu verraten. Während sie unbewegt vor sich hinblickt, sind die Gäste an der Hochzeitstafel auf dem Höhepunkt ihrer Festlaune angekommen; der eine drängt seiner sich sträubenden Nachbarin eine gefüllte Weinschale auf, ein andres Paar hält sich umschlungen, im Hintergrund ist einer vom Tische aufgesprungen und giebt mit grinsendem Lachen eine Geschichte zum besten. Auf der andern Seite drängt sich um den wildhaarigen, bäuerisch reckenhaften Simson, der sein Rätsel mit höchst sprechender Geberde vorträgt, eine dichte Gruppe von Philistern, mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörend; am weitesten vorn steht auf seine Harfe gestützt ein alter Musikant, dessen angestrengtes Aufpassen auf Begreifen am wenigsten Aussicht hat. Die ganze Szene hat bei all ihrem kräftigen realistischen Leben einen eigentümlich märchenartigen, phantastischen Charakter, der noch erhöht wird durch den schwer beschreiblichen, in Wahrheit nicht zu beschreibenden Reiz der malerischen Stimmung, durch den Zauber des hellgoldigen Lichts, das im vollsten Glanz auf die Gestalt der Braut konzentriert, in den beschatteten Gruppen zu beiden Seiten bald in prächtigen Reflexen aufleuchtet, bald in weiche Dämmerung verfliesst, durch das feine Farbenspiel in diesem Licht und dem Helldunkel; wunderbar fein klingen alle Einzeltöne ineinander, vereinigt in einen goldig schimmernden Gesamtton. – Das Märchenartige, Romantische des Bildes in seiner Mischung mit lebendigstem Realismus und kräftigem Humor kann an Shakespeare erinnern.
Höchst bezeichnend ist es, wie entschieden bei Rembrandt das Phantasie-Element auch in die Porträtdarstellung übergreift. In seiner früheren Zeit hat er zahlreiche vorzügliche Bildnisse gemalt und radiert, die das Gepräge vollkommener Objektivität an sich tragen. Späterhin behandelte er das Porträt in immer freierer Weise, eine eigenartig gestimmte Auffassung macht sich immer stärker geltend. Durch die Art der Beleuchtung, durch eigentümliche Licht- und Helldunkelwirkungen wird bisweilen auch das Porträt zum Stimmungsbild; das Kostüm erhält häufig einen ausgesprochen phantastischen Charakter.
Aus der Zeit, in der Rembrandt eine derartige künstlerisch freie Behandlung des Porträts schon zu bevorzugen anfing, stammt das bekannteste von seinen Bildnissen in der dresdner Galerie: das lebensgrosse, 1637 oder 1638 gemalte Doppelporträt, das ihn selbst mit seiner Gattin Saskia van Uylenburgh darstellt. (S. d. Abb.) In der Situation, in der sich Rembrandt hier geschildert hat, erinnert er an den jovialen Humor des Frans Hals. Mit seiner jungen Frau auf dem Schoos sitzt er lachend an reichbedeckter Tafel, ein mächtiges Stengelglas voll schäumenden Weines hoch in der rechten. Den lachenden Ausdruck des vollen, derbgeformten Gesichts findet Vosmaer, der Biograph Rembrandts, sein enthusiastischer Verehrer, wenig gelungen; er meint, es sei eine sonderbare Sache, dass Rembrandt, so bewunderungswürdig im Ausdruck höchst verschiedenartiger Affekte, niemals das Lachen gut gemalt habe, auch nicht in diesem Bilde, sein Lachen sei hier nur eine Grimasse, peinlich zu sehn, wenn man das Bild länger
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/103&oldid=- (Version vom 27.12.2024)