Jahre später (1641) gemalte weibliche Bildnis, das auch für ein Porträt der Saskia gilt: eine junge Frau mit einer Nelke in der Hand. (S. d. Abb.) Eine gewisse Ähnlichkeit hat das kostbare Bild mit den Bildnissen der Saskia. Dass diese aber nicht darin dargestellt ist, ergiebt sich aus einem sehr einfachen Umstand, den man merkwürdigerweise bisher nicht beachtet hat, aus dem Umstand, dass die hier porträtierte junge Frau blaue Augen hat; Saskia hat braune. Schade, möchte man sagen, dass dieses so überaus liebenswürdige Bild nicht ihr Porträt ist. Die linke Hand an die Brust gelegt, in der rechten die Blume darbietend, steht die in frischester Gesundheit blühende junge Frau dem Beschauer voll zugewendet, mit einem reizend treuherzigen Ausdruck im Blick und in der ganzen Geberde. Der Gesamtton des Kolorits ist von ungemeiner Wärme und Tiefe; das Samtkleid hat eine tief dunkelrote, der feine Gazeschal eine goldig bräunliche Färbung. Alle Formen sind mit grösster Sorgfalt durchgebildet, besonders schön sind die Arme und die Hände modelliert. Durchweg zeigt das Bild jene meisterhafte, von aller Kleinlichkeit freie und doch sehr eingehende Behandlung, die für die Gemälde Rembrandts in dieser mittleren Epoche seines Schaffens charakteristisch ist.
In dieselbe Periode gehört auch der „Rohrdommeljäger“ der dresdner Galerie. (S. d. Abb. im Text.) Im rein Malerischen, in dem starken Helldunkeleffekt und in der staunenswert feinen Behandlung des silbergrauen, im vollen Licht schimmernden Gefieders der Rohrdommel liegt der Hauptreiz des Bildes. Es ist 1639 gemalt; in der Gestalt des Jägers, der im Begriff ist, seine Jagdbeute an einem Holzpfosten aufzuhängen, erkennt man die Porträtzüge des Meisters.
Rembrandts Gegensatz zur Antike musste sich natürlich in seiner ganzen Tiefe und Schroffheit zeigen, wenn er Gegenstände der antiken Mythologie behandelte. Das bekannteste von seinen „mythologischen Bildern“ ist der Raub des Ganymedes. (S. d. Abb. im Text.) Man hat in dem Gemälde eine direkte Satire auf die mythologischen Schilderungen der Italiener und ihrer Nachahmer oder auch auf die antike Fabel selbst erblickt.[1] Was wir auf dem Bilde sehen, ist ein ganz naturalistisch, mit allergrösster Naturwahrheit gemalter Vorgang; von karrikierenden Zügen ist darin keine Spur. Eine Parodie im eigentlichen Sinne ist die Schilderung jedenfalls nicht. Aber zu der Idee der antiken Fabel steht sie ja doch im stärksten und sonderbarsten Widerspruch, in einem Widerspruch, dessen sich Rembrandt doch natürlich bewusst war. Er kannte ja doch den Sinn der Fabel, vielleicht auch eine antike Darstellung des Mythus, das Gebiet der alten Kunst war ihm keine terra incognita. Wir jetzt erinnern uns sogleich jener schönsten unter den antiken Darstellungen des Ganymedes-Raubs, der berühmten Gruppe des Leochares, die uns in mehreren alten Nachbildungen erhalten ist; sie zeigt den Gedanken des Mythus in der edelsten Form: hier ist der schöne Liebling des Zeus dargestellt, wie er sich von dem Adler, der ihn leicht gefasst hat, willig emportragen lässt, ohne jedes Widerstreben, ganz hingegeben an den gottgesandten Entführer, den Blick lächelnd nach oben gewandt, wie im Vorgefühl der olympischen Seligkeit, die ihm zuteil werden soll; von dem Adler in dieser Gruppe sagte Plinius, er scheine zu fühlen, was er in Ganymedes raube und wem er ihn bringe. Was hat Rembrandt gemalt? Einen kräftigen fleischigen Jungen, der angstvoll schreiend von dem Adler durch die Lüfte geschleppt wird. Als er unten auf der Wiese mit Kirschenessen beschäftigt war – ein paar der Kirschen hält er noch krampfhaft in der linken Hand –, stiess der Adler auf ihn herab und packte ihn, wie ein
- ↑ Kugler, Geschichte der Malerei, 3. Aufl. III, 89.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/105&oldid=- (Version vom 27.12.2024)