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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/106

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Raubvogel seine Beute packt. – Man hat gesagt: „Warum muss das Bild auch eben Ganymed heissen!’’[1] Aber Rembrandt gab ihm doch selbst diesen Titel. Seine Schilderung ist allerdings ironisch gemeint, die Ironie liegt aber versteckt hinter dem rein naturalistischen Charakter der Darstellung. Nach seinen malerischen Qualitäten gehört das Bild zu den ausgezeichnetsten unter den früheren Werken des Meisters. Es ist mit der Jahreszahl 1635 bezeichnet.

Endlich noch eines der bewunderungswürdigsten Gemälde Rembrandts, das grossartige Greisenbildnis vom Jahre 1654. (S. d. Abb.) – Das äussere Leben des Meisters hatte sich um diese Zeit schon sehr trübe gestaltet; seine Vermögensverhältnisse waren, zumeist durch seine unbezähmbare Sammelleidenschaft, schwer zerrüttet, 1656 musste er seinen Bankerott erklären. Seine künstlerische Kraft blieb ungebrochen. Nur in dem Jahr der Katastrophe und während der nächstfolgenden Zeit lässt sich in einzelnen Fällen eine gewisse Lähmung und Trübung seines Schaffens erkennen; dann, in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens entstanden noch Werke von einer ganz neuen, eigenartigen Grösse. In der sorgenschweren, der Katastrophe unmittelbar vorangehenden Zeit erscheint seine künstlerische Kraft nicht nur nicht geschwächt, vielmehr aufs überraschendste gesteigert, ganz besonders in dem Jahre, aus dem jenes Greisenbildnis stammt. Unter der staunenswert grossen Zahl bedeutender Schöpfungen, die in diesem Jahr aus Rembrandts Hand hervorgingen, ist keine bedeutender, als eben jenes Bildnis. Es gehört zu den Gemälden des Meisters, die man als Rabbinerporträts zu bezeichnen pflegt. Ein Porträt im eigentlichen Sinne ist es jedoch ebenso wenig, wie die andern; es ist eine freie, mit Benutzung eines ausgewählten Modells frei geschaffne Charakterdarstellung, ein Charakterbild von imposanter Grossartigkeit, von einer unvergleichlichen Macht des Ausdrucks und der ganzen malerischen Erscheinung. Tiefer, gesammelter Ernst spricht aus dem grossgeformten, weissbärtigen Antlitz, aus den grossen, man möchte sagen, schwarz leuchtenden Augen. Das voll auf das Antlitz konzentrierte Licht glüht in erstaunlicher Kraft; aus dem umgebenden Helldunkel, aus dem feierlichen Schwarz des Kostüms glänzen gedämpft, aber höchst wirksam einige Lichtreflexe auf, am lebhaftesten, in einem purpurroten Schimmer, von den Edelsteinen, mit denen das Bruststück des Unterkleides besetzt ist. Die Pinselführung ist von einer Breite und Kühnheit, wie sie kaum eines der früher oder gleichzeitig entstandnen Bilder Rembrandts zeigt, eine ähnliche findet sich erst wieder in Gemälden seiner letzten Epoche; die Lichter sind in starkem Impasto aufgesetzt, die ganze Behandlung hat im Vergleich mit der mehr verschmelzenden Art in den Meisterwerken der vierziger Jahre den Anschein einer fast wilden Energie; aber welche vollendete Kunst liegt in dieser kühnen Führung des Pinsels! Jeder Strich ist von der klarsten und sichersten künstlerischen Absicht beherrscht. Eben diese gewaltige Art des Vortrags ist es, die der ganzen bildlichen Erscheinung eine solche Wucht des Körperhaften, eine solche Mächtigkeit der realistischen Wirkung giebt. Auch in der Art der Behandlung ist das Bild eines der genialsten Werke des Meisters. Vosmaer sagt von ihm mit Recht, dass es für seine ganze Nachbarschaft in der dresdner Galerie eine völlig erdrückende Wirkung hat.[2]

Die interessantesten Gemälde, die die dresdner Sammlung von Schülern Rembrandts besitzt, sind die hier wiedergegebnen: Jakobs Traum und die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten von Ferdinand Bol und das Ecce Homo von Aert de Gelder. Ferdinand Bol, der zu Rembrandts ersten Schülern in


  1. Ebenda, Anmerkung des Herausgebers.
  2. Vosmaer a. a. O. S. 321.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/106&oldid=- (Version vom 27.12.2024)