jetzt immer mehr, namentlich in den späteren Arbeiten des Frans Mieris, in eine oberflächlich elegante, kalte und glatte Manier verfiel. Gleichzeitig machte sich der Einfluss italienischer Manieristen und besonders französischer Einfluss immer entschiedner geltend. Seit 1672, wo die Heere Ludwigs XIV das erste Mal in Holland eindrangen, und trotz der Erfolge, die Holland in dem fast vierzig Jahre andauernden Krieg mit Frankreich hatte, gelangte französischer Geschmack in Holland in der Kunst, wie in der Litteratur zu immer grösserer Herrschaft. Der lütticher Maler Gérard Lairesse, der sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Amsterdam niederliess, verkündigte hier in seinem Lehrbuch über Malerei (dem „Groot Schilderboek“), die ganze bisherige Richtung der holländischen Malerei als roh naturalistisch verwerfend, die akademische Aesthetik des französischen Klassizismus.
Die elegante Manier jener Kleinmalerei und der französische Geschmack waren einander verwandt, sie waren sehr gut zu verbinden, man zeichnete und komponierte nun nach den Schönheitsregeln des Lairesse und malte in der delikaten mierisschen Art. Keiner hat das besser verstanden, als der Chevalier Adriaen van der Werff, der damals aufs höchste gefeierte Meister von Rotterdam (1659–1722). Der Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, sein grösster Bewunderer, ernannte ihn zum Hofmaler und erhob ihn in den Ritterstand. Denkt man bei seinem Paris-Urteil (s. d. Abb. im Text) an die rubensschen Darstellungen desselben Gegenstands, welch ein Gegensatz! Welcher Kontrast zwischen Rubens’ heiterer Natürlichkeit, seinen in Lebensfülle und üppiger Gesundheit blühenden Gestalten und der affektierten Grazie, der äusserlichen Eleganz, der unwahren, leblosen Farbe der porzellanartig glatten Figuren dieses Decadence-Bildes! Die Virtuosität der Behandlung ist nicht gering, aber wie reizlos ist diese Kunst geworden.
Länger als die vlämische Malerei hatte sich die holländische in kräftiger Blüte erhalten und ihre nationale Selbständigkeit behauptet; fast ein Jahrhundert lang war sie dem Romanentum gegenüber eine starke Vertreterin germanischen Wesens. Ihr Ende bezeichnet die französierende Kunst Van der Werffs.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/120&oldid=- (Version vom 27.12.2024)