Im Katalog der dresdner Galerie (auch bei Smith, Cat. rais., 1840, VIII, 106) hat das Bild die Benennung „Venus“, während es im Galerie-Inventar von 1722 als „schlafende Nymphe“, bei v. Quandt (Begleiter durch die Gemäldesäle des dresdner Museums, 1856, S. 108) als „schlafende Bacchantin“ bezeichnet ist. Die letztre Benennung möchte sich besser, als der Name der Göttin, für die unverhüllte Mädchengestalt eignen, die hier in waldiger Gegend auf einem Rasenhügel „nachlässig hingegossen“ ruht. Die Weinschale und der umgestürzte Weinkrug neben ihrem Lager scheinen auch auf ihre Zugehörigkeit zum Gefolge des Dionysos hinzudeuten. Vorn sitzt ein geflügelter Amor, mit Weinlaub bekränzt, zu Füssen des Lagers steht ein andrer, der mit seinem Geschoss auf die träumende Schläferin zielt. Hinter ihr, von Bäumen halb versteckt, lauschen zwei Hirten. Die schlanken, weich modellierten Formen des Mädchenkörpers heben sich mit ihrem warmen goldigen Fleischton von dem weissen Linnen, mit dem der Rasenhügel bedeckt ist, und von dem dunkelfarbigen landschaftlichen Hintergrund sehr reizvoll ab. Das Ganze hat etwas von venezianischer Farbenstimmung.
Von entschieden höherer Bedeutung, als in seinen Figurenbildern, ist Nicolas Poussin in seinen Landschaften, in denen er, besonders im Anschluss an die von den Carracci angebahnte Richtung der Landschaftsmalerei, zum Mitbegründer jenes Idealstils wurde, der vor allem auf Grösse der Formen und Linienschönheit, auf bestimmte Ausprägung und harmonische Fügung der plastischen Bestandteile der Landschaft gerichtet, zu dem gleichzeitig entstehenden Typus der niederländischen, der nordischen Stimmungslandschaft einen so prägnanten Gegensatz bildet. Zu den nächsten Nachfolgern Nicolas Poussins auf landschaftlichem Gebiet, unter denen sein Schüler und Schwager Gaspard Dughet (gen. Gaspard Poussin) an erster Stelle steht, gehört François Millet (1642–1679), ein Antwerpner von Geburt, der in seinem 18. Jahre nach Paris übersiedelte, wo er bis zu seinem frühzeitigen Tode blieb. Ohne Italien jemals gesehn zu haben, malte er nur italienische Landschaften, lediglich nach dem Vorbild der beiden Poussin, besonders nach dem Vorbild Gaspard Poussins, dessen Name in späterer Zeit bisweilen auf milletsche Bilder überging. Die im Text abgebildete „römische Berglandschaft“ Millets wurde für die dresdner Galerie 1862 als ein Werk Gaspard Poussins erworben. In der Komposition, im Aufbau der landschaftlichen Formen, in der Linienführung hat es vollkommen poussinschen Stil. Für die Urheberschaft Millets spricht hauptsächlich der Charakter des Kolorits, in dem man vielleicht etwas von vlämischer Art erkennen kann; das Bild ist farbiger, es hat einen grösseren Reichtum an Lokaltönen und einen wärmeren Gesamtton, als die Bilder Gaspard Poussins[1]. Für die Grundrichtung der poussinschen Landschafterschule ist es ein besonders schönes und interessantes Beispiel.
Eine höchste Ausbildung erhielt der ideale, aus der italienischen Natur herausentstandene Landschaftsstil durch den grossen Zeitgenossen Nic. Poussins, den Lothringer Claude Gelée (Claude Lorrain, geb. 1600, seit 1627 in Rom, wo er 1682 starb). Ihm gab Italien die Motive zur Schilderung einer landschaftlichen Idealwelt, in der er, wie kein zweiter, mit dem Adel und der Reinheit der Formen allen Zauber des Lichts vereinigte. Eine grossartige idyllische Schönheit ist ihr vorherrschender Charakter; ihre heiteren Gefilde am sonnenbestrahlten Meer, ihre Thäler mit den glänzend geöffneten Fernen sind die poetischen Stätten eines ungetrübten idyllischen Glücks, eines paradiesischen Friedens, Bilder einer arkadischen Welt.
- ↑ Vergl. W. Bode in v. Zahns Jahrb. 1873, VI. 198; Wörmanns Text zu Brauns Galeriewerk, S. 64–65; Wörmanns Kat. der dresdner Gal., 3. Aufl. S. 249.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/126&oldid=- (Version vom 27.12.2024)