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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/19

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Familie ist die rein menschliche Beziehung zwischen der Mutter und dem Kind oftmals aufs zarteste und rührendste ausgesprochen; nicht selten haben solche Darstellungen ganz den Charakter anmutiger Genrebilder.

Francesco Cossa: Die Verkündigung

In manche Schilderungen des christlichen Mythus mischt sich der festliche Klang einer heiter weltlichen Stimmung, in anderen wieder kommt die religiöse Empfindung ergreifend, in neuen Formen, zum Ausdruck. Mit Recht hat man gesagt, dass in derartigen Schilderungen, in Darstellungen der „ Verkündigung“, der „Geburt Christi“ (des Neugebornen, der von Maria und anbetenden Engelschaaren verehrt wird), der „Himmelfahrt und Krönung der Maria“ und anderen, bald biblischen, bald legendarischen Darstellungen ähnlicher Art eine neue gedankentiefe christliche Kunstmythologie geschaffen wurde.[1] Gemälde, in denen biblische Gestalten als Idealfiguren in der traditionellen Tracht mit Figuren des wirklichen Lebens in unmittelbare Verbindung gesetzt sind, können recht eigentlich Dichtungen genannt werden, Gedichte in der Sprache der Malerei, in denen der Inhalt der heiligen Ueberlieferung in seiner lebendig fortwirkenden Bedeutung als ein unmittelbar Gegenwärtiges geschildert wird. In der Behandlung alles Aeusseren, in der reichen Charakterisirung des ganzen „ Milieu“ gibt sich dabei immer der neu erwachte Wirklichkeitssinn aufs lebendigste zu erkennen, man empfindet, welchen starken Reiz die neu erschlossene reale Welt auf das Künstler-Auge ausübte. Bisweilen macht sich das künstlerische Interesse in dieser Richtung auch ausschliesslich geltend. Mehrfach geben die Maler unter biblischem Titel eigentlich nur Schilderungen aus dem Leben ihres eigenen Zeitalters; der Gegenstand, nach dem die Gemälde genannt sind, erscheint dann freilich nur wie ein Vorwand. In dem berühmten Zuge der hl. drei Könige und ihres Gefolges von Benozzo Gozzoli (im Pal. Riccardi in Florenz) und in einigen Bildern aus dem Leben der Maria von Dom. Ghirlandajo (in S. Maria Novella ebenda) sehen wir in der That nichts anderes geschildert, als anmutige, malerisch reizvolle Szenen aus dem italienischen Leben jener Zeit; aus ihnen spricht nur die Freude des Künstlers an der schönen gegenwärtigen Welt. Solche in ihrer poetisch schönen Weltlichkeit höchst anziehende Schilderungen waren es hauptsächlich, gegen die sich am Ausgang des 15. Jahrhunderts der Unwille Savonarolas richtete. Neben Darstellungen dieser Gattung blieb dem eigentlichen Andachtsbild seine Bedeutung gewahrt. Nach wie vor wurden die Altäre geschmückt mit Glorienbildern und mit der Darstellung der thronenden,


  1. H. Hettner, italienische Studien, S. 62.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/19&oldid=- (Version vom 26.12.2024)