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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/20

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von Engeln und Heiligen umgebenen Madonna. Aber auch hier sind die feierlich starren Typen des Mittelalters lebensvollen Gestalten gewichen, in denen das Heilige der menschlichen Empfindung näher gerückt erscheint.

In ihrer realistischen Art hat die italienische Malerei des 15. Jahrhunderts mit der gleichzeitig und ganz unabhängig von ihr in den Niederlanden so glänzend emporkommenden Malerei, mit den Werken der Brüder van Eyck und ihrer Schule offenbare Verwandtschaft, so sehr sie in gewisser Beziehung von ihr verschieden ist. Der italienische Schönheitssinn, das Gefühl für harmonische Verhältnisse der einzelnen Gestalten und der ganzen Komposition, für das Ebenmässige in Formen und Linien, das kündigt sich schon in der realistischen Kunst des italienischen Quattrocento auf das vernehmlichste an. Die Richtung auf das Eigenartige und Charakteristische tritt sehr bestimmt hervor, aber sie macht sich doch nur selten mit einer ähnlichen Schärfe geltend, wie in jener nordischen Kunst; vielfach nähern sich die Italiener schon in dieser Epoche dem Schönheitsideal, das die Zeit der höchsten italienischen Kunstblüte, das Cinquecento, beherrscht. Auf schöne Linienführung im Ganzen der Komposition, auf die rhythmische Anordnung der Gruppen wird ein besonderes Gewicht gelegt, während in den Werken der gleichzeitigen nordischen Malerei auch die Komposition vor allem durch das Streben nach charakteristischer Wahrheit, ohne besondere Rücksicht auf Linienschönheit bestimmt wird. Für den Kompositionsstil der italienischen Malerei war es überdies von eingreifender Bedeutung, dass sie seit der Zeit ihres ersten Wiederaufblühens mit der Architektur in engstem Zusammenhang stand. Für die monumentale Wandmalerei, die sich im Quattrocento, wie früher, aufs reichste entfaltete, waren die architektonischen Gesetze der Symmetrie und des Linien-Rhythmus ganz unmittelbar massgebend, sie waren aber auch auf die Kompositionsweise der Tafelmalerei von unverkennbarem Einfluss.

Die Antike, deren Wiederaufleben mit dem Worte Renaissance bisweilen ausschliesslich gemeint wird, hat auf die Kunstentwicklung des Quattrocento nur in sehr bedingtem Sinne eingewirkt. So mächtigen Anteil die Begeisterung für das klassische Altertum an der Erneuerung des ganzen italienischen Kulturlebens hatte – diesen Erneuerungsprozess im allgemeinen versteht man jetzt gewöhnlich unter Renaissance –, das künstlerische Schaffen blieb der Antike gegenüber durchaus und vollkommen selbständig. Von einer eigentlichen Nachahmung antiker Kunstvorbilder gibt es in der ganzen Renaissance-Epoche kein einziges Beispiel. Das Studium der alten Kunst diente den Bildhauern und Malern zur Läuterung des künstlerischen Formensinns, durch dieses Studium lernten sie die Natur in ähnlicher Weise betrachten und künstlerisch benutzen, wie es die Alten gethan hatten. Aber eine bestimmte, unmittelbar vorbildliche Bedeutung hatte die Antike für sie in keinem Falle, am allerwenigsten für die Künstler des Quattrocento. Antike Stoffe, Gegenstände der alten Mythologie wurden schon in dieser Epoche der Frührenaissance bisweilen in den Kreis der malerischen Darstellungen aufgenommen. Gerade da aber zeigt sich, wie frei die Künstler der Antike gegenüberstanden. Da ist nichts, was auch nur den Schein einer Nachahmung hätte; die antiken Stoffe erscheinen in ein ganz neues Phantasie-Element eingetaucht, in ihrer Gestaltung gibt sich eine wesentlich neue Empfindungs- und Anschauungsweise kund. In jedem Sinne wuchs diese Kunst ganz selbständig empor.

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/20&oldid=- (Version vom 26.12.2024)