Nichts in Wahrheit kann interessanter und reizvoller sein, als das Schauspiel einer Kunstentwicklung, wie die Frührenaissance sie zeigt, als das Schauspiel des Werdens und Wachsens einer solchen ganz originalen Kunst. Aus allen Werken dieser Epoche dringt uns etwas wie frischer Frühlingshauch entgegen. In der Ursprünglichkeit und Jugendlichkeit der Empfindung, in dem neu hervorquellenden Naturgefühl, das diese Schöpfungen erfüllt, liegt ein unwiderstehlich fesselnder Reiz. Kommt man von einer überreif gewordenen Kunst her, so kann es in der That nichts erfreuenderes geben, als den Anblick dieser Werke, in denen der moderne Kunstgeist so quellfrisch und jugendlich, so jugendkräftig ans Licht trat. Begreiflich daher, dass sie in unserer Zeit, wo sich das Bedürfnis einer Kunstverjüngung in so mannigfacher Weise hervorgedrängt hat, für viele von besonders starker Anziehungskraft sind. Das Höchste ward in ihnen noch nicht oder nur in einzelnen Fällen erreicht. Im Ganzen blieb das Quattrocento eine Zeit des Suchens und Ringens. Der Formencharakter in den Werken dieser Epoche hat noch vielfach etwas herbes, die ganze künstlerische Ausdrucksweise eine gewisse Befangenheit. In dieser Befangenheit aber welche Wahrheit und Innigkeit des Empfindens, in den noch unfreien Formen welche Kraft inneren Lebens!
Der eigentliche Mittelpunkt dieser ganzen Kunstbewegung war Florenz. Im Gebiet der Malerei war hier am Beginn des 15. Jahrhunderts Masaccio das bahnbrechende Genie. Ihm schloss sich jene
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/21&oldid=- (Version vom 26.12.2024)