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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/22

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lange Reihe von Meistern an, die auf verschiedenen Wegen und in stetigem Fortschreiten die Entwicklung der florentinischen Malerei weiterführten, die einen, indem sie im sorgfältigsten Studium der Natur und zum Teil unter dem Einfluss der gleichzeitigen Plastik, aus deren Schule manche von ihnen unmittelbar hervorgingen, nach genauester Formenbestimmtheit strebten, andere, indem sie sich hauptsächlich um die Vervollkommnung der koloristischen Technik bemühten, noch andere, indem sie mit Benutzung aller technischen Errungenschaften zugleich neuen, eigenartigen Anschauungen Ausdruck gaben. Diese, die eigentlich schöpferischen Meister, Fiesole, bei dem die mittelalterliche Stimmung zwar noch deutlich nachklingt, der aber vom Geiste des neuen Zeitalters doch keineswegs unberührt war, dann vor allen Filippo Lippi, Sandro Botticelli, Andrea Verrocchio, Domenico Ghirlandajo und der gewaltige Cortonese Luca Signorelli, sämmtlich Künstler-Individualitäten von scharf ausgeprägter Physiognomie, sie waren die Hauptführer der toskanischen Malerei. Neben ihr gelangten auch in anderen Gegenden Italiens, das damals von künstlerischen Kräften überströmte, verschiedene Malerschulen unter eigenartigen örtlichen Bedingungen zu selbständiger Entwicklung: in Perugia unter Perugino, in Padua unter dem grossen Mantegna; auch in Bologna, in Ferrara und in der Lombardei bildeten sich Malerschulen von bestimmt ausgesprochenem Charakter. Am spätesten, dann aber um so glänzender, erhob sich die venezianische Malerei zu selbständiger Bedeutung.

Von der nicht grossen Zahl von Bildern, die in der dresdner Galerie die Malerei der italienischen Frührenaissance charakteristisch und bedeutend vertreten, sind hier nur einige reproduzirt, die auf das Interesse weiterer Kreise besonderen Anspruch haben. Das unzweifelhaft echte Gemälde Botticellis, das die Galerie besitzt (Szenen aus dem Leben des hl. Zenobius), ist für den Charakter dieses höchst eigenartigen und bedeutenden Meisters nicht in solchem Grade bezeichnend, dass eine Wiedergabe hier zweckmässig erschienen wäre. (Das dem Meister zugeschriebene Madonnenbild der Galerie ist wahrscheinlich nur ein sog. Werkstattbild.)

Eines der hier abgebildeten Gemälde des Quattrocento „Maria mit dem Kind und dem kleinen Johannes“ hat ein eigenes Schicksal gehabt. Nachdem es 1860 in London als ein Werk des Lorenzo di Credi war erworben worden, wurde es in Dresden auf den grossen Namen Lionardo da Vincis umgetauft; man hielt es für eine Jugendarbeit des Meisters, hauptsächlich wegen seiner Verwandtschaft mit einer Madonnenzeichnung im dresdner Kupferstich-Kabinet, als deren Urheber Lionardo seit langer Zeit galt. Die Berechtigung der kühnen Umtaufe wurde bald sehr entschieden und aus den triftigsten Gründen bestritten und die meisten von denen, die die neue Benennung verwarfen, erklärten die frühere für zweifellos richtig. In dem Wörmannschen Katalog der Galerie heisst das Bild wieder Lorenzo di Credi. Es hat in der Formengebung, namentlich in der Zeichnung und Modellierung der Kinderkörper auffällige Härten, der Gesichtsausdruck der Kinder hat etwas unlebendiges, aber sehr anmutig ist die Madonna, eine schlichte Jungfrauengestalt in der zierlichen Tracht der damaligen Zeit. Sie erinnert an den Madonnentypus Verrocchios, zu dessen Schülern Lorenzo di Credi gehörte. Das Motiv der Darstellung – Maria reicht dem Kind eine Beere – hat, wie in so vielen anderen florentinischen Madonnenbildern jener Zeit, ganz genreartigen Charakter. Die Durchführung ist in allen Einzelheiten, besonders auch in dem kleinen Stück Landschaft, das sich im Hintergrund durch das geöffnete Fenster zeigt, von

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Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/22&oldid=- (Version vom 26.12.2024)