namentlich in vielen seiner Madonnen auf das liebenswürdigste ausgesprochen; wegen des etwas sentimentalen Charakters mancher seiner Gestalten hat man ihn nicht mit Unrecht den Carlo Dolce des 15. Jahrhunderts genannt. In dem einen jener beiden dresdner Bilder behandelte er eines seiner Lieblingsmotive: die Madonna in anmutiger landschaftlicher Umgebung anbetend vor dem Christuskind knieend. Das andere Gemälde ist hier reproduzirt: ein umfängliches Andachtsbild, die Madonna mit dem Kind in einer Renaissancehalle thronend, zur Rechten Johannes der Evangelist, zur Linken der hl. Sebastian im Kostüm der damaligen Zeit, mit dem Pfeil, dem Zeichen seines Martyriums, in der Hand, eine der Figuren, deren Ausdruck etwas ans Sentimentale streift; von ernster Anmut, schön empfunden im Ausdruck sind die Gestalten der Madonna und des Johannes. Die Farbe, die bei Lorenzo di Credi oft von reizvoller Feinheit ist, hat in diesem Bilde, wie in manchem anderen seiner späteren Zeit, etwas auffällig kaltes und blasses.
Die florentiner Schule ist hier nur noch durch die Abbildung eines Gemäldes von Piero di Cosimo vertreten, das die hl. Familie darstellt, in weiter Landschaft an einem Felsen gelagert, über ihr auf der Spitze des Felsens zwei singende Engel. Auch Cosimo gehört, obschon seine künstlerische Thätigkeit bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts hineinreichte, noch entschieden zu den Quattrocentisten. Im Gegensatz zu der Zartheit der Werke Lorenzo di Credis zeigt das Bild Cosimos sehr kräftige Formen und eine kräftige, tieftönige Farbe. Die vortrefflich gruppirten Figuren haben ganz individuellen Charakter, ihre Zeichnung hat etwas scharfes und herbes; eine gewisse Sprödigkeit in der ganzen Art der Behandlung lässt annehmen, dass das Gemälde aus der früheren Zeit dieses interessanten, namentlich in seinen späteren mythologischen Bildern sehr eigenartigen Meisters herstammt.
Aus der umbrischen Schule besitzt die Galerie nur ein Gemälde von Bedeutung: das im Text abgebildete Knaben-Porträt von Bernardino di Betto Biagio, gen. Pinturicchio, der neben Perugino, dem berühmten Hauptmeister der Schule, eine entschieden selbständige Stellung einnimmt. Das mit grösster Sorgfalt und Bestimmtheit durchgeführte, in dem ernsten Ausdruck des jugendlichen Kopfes höchst anziehende Porträt ist ein Werk aus der ersten Zeit von Pinturicchios künstlerischer Thätigkeit, ein Werk, das von um so grösserem Interesse ist, weil die meisten seiner späteren Arbeiten, die, durch die er vornehmlich bekannt ist, dem Gebiet der Freskomalerei angehören. Morelli macht darauf aufmerksam,
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/24&oldid=- (Version vom 26.12.2024)