ihrer geistigen Grösse, in ihrer Gewaltigkeit und glanzvollen Schönheit zum Herrlichsten gehören, was menschliches Vermögen hervorgebracht hat. Zum ersten Mal wieder seit den Tagen des griechischen Altertums erblüht eine hohe Idealkunst in klassisch vollendeten Formen. An Idealität und künstlerischer Formvollendung stehen ihre Werke auf gleicher Höhe mit denen der grossen griechischen Blütezeit, aber sie sind aus einem neuen Geiste entsprungen, neue Ideale sind in ihnen verkörpert, eine neue, dem Altertum unbekannte Welt von Gedanken und Empfindungen ist in ihnen zum Ausdruck gekommen.
Von den grossen Malerwerken dieser italienischen Glanzepoche haben sich zwei der Phantasie der Menschen mit beispielloser Kraft bemächtigt: Leonardos Abendmahl und Raffaels sixtinische Madonna. Ihr Ruhm ist in die weitesten und fernsten Kreise der gebildeten Welt gedrungen, durch zahllose Nachbildungen sind sie zum Gemeingut aller Nationen geworden, sie haben eine Popularität ohnegleichen. Das Original des Abendmahls in S. Maria delle Grazie in Mailand ist halb zerstört; beinahe nur ein Schatten ist davon zurückgeblieben. Das Werk Raffaels leuchtet in der dresdner Galerie noch heute in fast unversehrtem Glänze.
In Raffaels Darstellungen der Madonna sind zwei grosse Gruppen zu unterscheiden: die eigentlichen Andachtsbilder, die sogenannten sante conversazioni und jene Schilderungen, in denen sich Raffael an die Madonnen-Auffassung anschloss, die bei den florentinischen Meistern des 15. Jahrhunderts vorherrschte,
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/31&oldid=- (Version vom 26.12.2024)