hat es in Wahrheit keine Verwandtschaft. Wenn man es mit den Bildern dieses Manieristen aus der Verfallzeit der niederländischen Schule, mit diesen kalten, porzellanartig glatten, geleckten Malereien vergleicht, so kann es in der That an künstlerischem Reiz nur gewinnen; seine koloristischen Vorzüge, der zarte Schmelz seiner Farbe und die Weichheit der Behandlung, müssen bei einem solchen Vergleich nur um so deutlicher fühlbar werden; sicher, sein malerischer Wert ist früher nicht so maasslos, wie Morelli meint, überschätzt worden. Ueberdies wissen wir, dass sich das Bild bereits zu einer Zeit in der modeneser Sammlung befand, wo van der Werff – er lebte 1659–1722 – noch in den Anfängen seiner künstlerischen Wirksamkeit stand; Venturi (La Galleria Estense in Modena, 1882, S. 291) berichtet, dass es schon 1682 in der modeneser Sammlung kopiert wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Bild, wie auch von Wörmann angenommen wird, von einem Italiener des 17. Jahrhunderts gemalt und zwar nach einem Gemälde Correggios (oder nach einer Kopie des Gemäldes). Das „Berechnete und Kokette“, das Morelli der Darstellung vorwirft, wird ein unbefangenes Auge schwerlich darin erblicken. Wie die büssende Magdalena hier dargestellt ist, in weicher sinnlicher Anmut, in der Einsamkeit des Waldes mit dem Ausdruck leiser Melancholie in dem vor ihr liegenden Buche lesend, hat sie freilich nichts, was an die ernste Stimmung der älteren kirchlichen Kunst erinnern könnte. Sie ist, ohne raffinierte Absichtlichkeit, in einem ähnlichen Sinne aufgefasst, wie der heilige Sebastian in vielen Bildern der Renaissancezeit. Diese Auffassung, in der Magdalena zu einer Lieblingsgestalt der italienischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts wurde, entspricht der Sinnesrichtung Correggios, und auch die malerische Haltung des Bildes im Ganzen, hauptsächlich die Art der Lichtbehandlung ist correggesk; nur ist hier die Sprache des grossen Cinquecentomeisters in die Ausdrucksweise einer späteren Zeit übersetzt; die Gesichtsformen der Magdalena, die nach Morelli so sehr an die Carracci erinnern, haben allerdings wenig von dem Typus correggioscher Frauengestalten. Noch Anderes spricht dafür, dass dem dresdner Bild eine Komposition Correggios zu Grunde liegt; zunächst eine im „Giornale di Erudizione artistica“ (Vol. I. Fasc. XI, p. 332 – nach der Angabe Morellis) veröffentlichte Urkunde aus Correggios Zeit: ein Brief von Carlo Malaspina, in dem gesagt wird, „Ortensio Lando habe der Markgräfin von Novellara mitgeteilt, dass Correggio kürzlich (?) eine wunderherrliche lesende Magdalena für den magnifico Signore di Mantova gemalt habe“; leider ist die Darstellung hier nicht näher beschrieben, so dass ihre Uebereinstimmung mit der des dresdner Bildes freilich nicht gewiss ist. Sodann: von Baldinucci (Notizie de’ professori del disegno, Firenze 1681–1728, III, 304) wird in der Biographie des Cristofano Allori als Werk Correggios ein kleines Bild der heiligen Magdalena erwähnt, das sich zu Anfang des 17. Jahrhunderts in Florenz im Besitz des Cavaliere Nicolo Gaddi befand. Die Darstellung der Magdalena in diesem Bild stimmt nach Baldinuccis Beschreibung mit der in dem dresdner Gemälde vollkommen überein: „Magdalena in der Wüste, fast ganz bedeckt mit einem blauen Gewande, liegt auf ihren rechten Arm gestützt und liest in einem Buche, das sie mit der Linken hält.“ Baldinucci bezeichnet das Bild ausdrücklich als ein Originalwerk Correggios („tutta fattura del Correggio“); er bemerkt zugleich, dass es von Cristofano Allori oftmals kopiert wurde. Allerdings kann nach diesem Bericht Baldinuccis nur das als Thatsache gelten, dass es in Florenz zu Anfang des 17. Jahrhunderts ein dem dresdner Bilde ganz ähnliches Gemälde gab, das man damals für ein Werk Correggios hielt. Ob das Bild wirklich von der Hand
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/55&oldid=- (Version vom 27.12.2024)