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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/56

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Correggios war, bleibt ja natürlich fraglich. Vielleicht war es dasselbe Bild, das in dem Briefe Malaspinas erwähnt wird; möglicherweise ist es mit dem dresdner Bilde identisch, von dem nirgends berichtet wird, wann und woher es in die modeneser Sammlung gelangte; möglich ist auch, dass es eine andere Kopie war. Indessen, was nach Baldinuccis Bericht als Thatsache zu gelten hat, fällt hinsichtlich der Frage, ob das dresdner Bild auf eine Komposition Correggios zurückzuführen ist, doch immerhin stark ins Gewicht. Das Original ist verschollen. Auf jeden Fall aber giebt es unter den zahlreichen, vielfach variierten Wiederholungen dieser Darstellung der Magdalena keine schönere, als die in der dresdner Galerie; ein lebendiger Hauch vom Wesen Correggios ist in ihr erhalten und die Bewunderung, die das Bild durch Jahrhunderte genossen hat, ist keine völlig grundlose gewesen.

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„Schwer verweilt sich’s im Vollkommnen und was nicht vorwärts gehen kann, schreitet zurück.“ Zu diesen Worten des alten Vellejus Paterculus und seinen Ansichten über die Ursachen des Steigens und Fallens der Künste bemerkt Goethe: „Die ganze Kunst ist als ein Lebendiges (ζωον) anzusehen, das einen unmerklichen Ursprung, einen langsamen Wachstum, einen glänzenden Augenblick seiner Vollendung, eine stufenfällige Abnahme wie jedes andere organische Wesen, nur in mehreren Individuen, notwendig darstellen muss.“ „Paterculus“, setzt er hinzu, „giebt nur die sittlichen Ursachen an, die freilich als mitwirkend nicht ausgeschlossen werden können, seinem grossen Scharfsinn aber nicht genugthun, weil er wohl fühlt, dass eine Notwendigkeit hier im Spiele ist, die sich aus freien Elementen nicht zusammensetzen lässt.“[1] Etwas Naturtragisches, kann man sagen, liegt in dieser Notwendigkeit.

Niemals ist nach der Zeit einer glänzenden Kunstblüte der Verfall plötzlicher eingetreten, als nach der grossen Blüteepoche im Cinquecento. Sie war nur von kurzer Dauer, nur „ein glänzender Augenblick der Vollendung“. Schon bald nach dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts war in der italienischen Malerei überall – die venezianische Schule einzig ausgenommen – ein Manierismus herrschend, der sich nur noch in stereotyp gewordenen Formen bewegte, der die grossen Kunstmuster der Blütezeit mit rutinierter Leichtigkeit rein äusserlich nachahmte, durch den die Sprache Rafaels und Michelangelos zur nichtssagenden Phrase wurde.

Eine kräftige Gegenbewegung gegen diesen kraftlosen Manierismus begann erst im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, auf doppelte Weise, in einer ausgesprochen naturalistischen Richtung und in den Bestrebungen der sogenannten Eklektiker der bologneser Schule. Einen unmittelbaren Anschluss an die Natur, im Gegensatz zu der manieristischen Naturentfremdung, suchte Caravaggio (Michelangelo Amerighi da Caravaggio, 1569–1609); den hohlen Idealfiguren der Manieristen stellte er mit scharfer, oft wild leidenschaftlicher Absichtlichkeit, drastisch effektvoll, nicht selten höchst packend, Gestalten aus dem niedern italienischen Volksleben entgegen, in biblischen Bildern sowohl, wie in eigentlichen Genrebildern, in denen er mit Vorliebe düstere nächtliche Szenen schilderte. Er war der erste eigentliche


  1. Goethe, in der Biographie Winckelmanns.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/56&oldid=- (Version vom 27.12.2024)