auf ihn machte, Einwirkungen Mantegnas wird man namentlich in der festen, auf scharf plastische Wirkung ausgehenden Formengebung wahrnehmen können. In allen wesentlichen Zügen hat das Werk deutschen, durchaus dürerschen Charakter. – Es wurde wahrscheinlich im Auftrag des Kurfürsten Friedrichs des Weisen ausgeführt. Christoph Scheurl erwähnt es unter den Bildern, die er 1506 in der Allerheiligenkapelle der Schlosskirche in Wittenberg sah.[1] Im Jahre 1687 kam es von da in die dresdner Kunstkammer.
Von Dürers tiefer innerer Selbständigkeit geben die Werke, die er inmitten der italienischen Kunstwelt, bei seinem zweiten Aufenthalt in Venedig im Jahre 1506 geschaffen hat, ein glänzendes Zeugnis. Wohl lässt sich an diesen und seinen späteren Werken erkennen, dass er der italienischen Kunst nicht unempfindlich und blind gegenüberstand. Auf die Läuterung seiner Formensprache, auf sein Streben nach Ergründung des Gesetzmässigen in der natürlichen Formenwelt, auf die Klärung seiner Kompositionsweise ist die Berührung mit der Kunst der Renaissance nicht ohne Einfluss geblieben. Aber an den Kern seiner künstlerischen Natur hat sich nicht das kleinste Teilchen fremden Wesens angesetzt. Er blieb hingegeben an die heimische deutsche Welt, der „heimliche Schatz seines Herzens“ blieb unversehrt, sein Tiefblick fürs Individuelle, seine herbe Kraft im charakteristischen Ausdruck ward nicht geschwächt, und als er später, am entschiedensten in seiner letzten Schöpfung, in den vier Aposteln, eine dem grossen Stil der Italiener verwandte Richtung aufs Typische nahm, wie unbedingt selbständig erscheint er auch hier. Diese vier Figuren, in denen das Typische so tief individuelle Züge in sich schliesst, verhalten sich zu den Idealgestalten der Renaissancekunst etwa wie Shakespeares typische Charaktere zu denen der antiken Tragödie. Das Ideal, dem Dürer nachstrebte, war ein individuelles im strengsten Sinne. Die grossartigen Typen, die er in den vier Aposteln hingestellt hat, haben nicht blos ganz deutschen Charakter, sie haben zugleich das schärfste Gepräge dürerscher Eigenart. Dürer hat nichts geschaffen, was sich mit italienischer Schönheit und Anmut vergleichen liesse, die heitere Sinnenfreude, die Weltfreudigkeit der Italiener war ihm fremd. Die beiden Hauptfiguren jenes letzten grossen Werkes, Gestalten voll tiefen Ernstes, die eine mit dem Ausdruck still in sich versunkenen Sinnens, die andere mit dem Ausdruck festester männlicher Kraft, sind recht eigentlich typisch für Dürers eigenstes Wesen.
Von den Gemälden des Meisters, die bei dem zweiten Aufenthalt in Venedig entstanden, sind die bedeutendsten das Rosenkranzfest (jetzt im Stifte Strahow in Prag) und das kleine, aber trotz seiner Kleinheit wahrhaft gross gedachte Bild der dresdner Galerie: Christus am Kreuz, eines der eigenartigsten und ergreifendsten Werke Dürers. (S. d. Abb.) Einsam auf der Höhe von Golgatha ragt der Kreuzesstamm, an dem Christus verscheidet, vor einem tiefschwarzen Gewitterhimmel auf; nur ganz unten am Horizont glüht ein gelblichroter Lichtstreifen über dem dunkelblauen See und der Hügelreihe des Ufers. Tief unter dem einsam Sterbenden liegt die schweigende Welt. Sein brechender Blick ist schmerzvoll und im Schmerz voll reinster Ergebung nach oben gewendet, die verschmachtenden Lippen, zwischen denen die Zähne und die Zunge sichtbar sind, haben sich zum letzten Seufzer geöffnet – eine ergreifend realistische Schilderung voll tiefster und edelster Empfindung. Der Körper des Heilands ist von grosser Formenreinheit, lässt aber durchaus nicht an klassisch italienische
- ↑ Cristoph Scheurl, Libellus de laudibus Germaniae. Vgl. Thausing, Dürer, 2. Aufl. I, 171.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/69&oldid=- (Version vom 27.12.2024)