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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/70

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Vorbilder denken. Die Farbe, die hier in der Wirkung des Ganzen so bedeutend, so tief stimmungsvoll mitspricht, hat Dürer in keinem andern Gemälde in gleichem Sinne behandelt. In der koloristischen Stimmung lässt das Bild venezianischen Einfluss nicht verkennen; in allem anderen ist es rein dürerisch. – Der untere Rand des Bildes hat die Inschrift: Pater in manus tuas comendo spiritum meum (Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist). Am Kreuzesstamm unten steht das Monogramm des Meisters mit der Jahreszahl 1506.

Eine wichtige Stellung in Dürers künstlerischer Thätigkeit hat die Porträtmalerei. Sein bewunderungswürdiger Blick fürs Individuelle hat sich hier in einer Reihe von Werken offenbart, die an Schärfe der Charakteristik, an Tiefe und Kraft des physiognomischen Ausdrucks zum bedeutendsten gehören, was die Porträtkunst überhaupt geleistet hat. Das Bildnis von Dürers Hand, das die dresdner Galerie besitzt, das Porträt des niederländischen Malers Bernaert van Orley (s. d. Abb.), ist mit dem Monogramm und der Jahreszahl 1521 bezeichnet; es entstand während Dürers Aufenthalt in den Niederlanden (Juli 1520 bis Juli 1521); der Brief in der Hand des Dargestellten hat die Aufschrift: dem Pernh . . zw . . (dem Bernhard zu).[1] In demselben Jahre 1521 – aber sicher nach der Rückkehr aus den Niederlanden[2] – malte Dürer jenes wundervolle, vielleicht den älteren Imhof darstellende Porträt, das zu den Hauptzierden des madrider Museums gehört, einige Jahre später das weltberühmte Bildnis des Hieronymus Holzschuher (in der berliner Galerie). Gegen diese Meisterwerke steht das dresdner Porträt fast in jeder Hinsicht beträchtlich zurück. In der Farbe ist es auffällig trocken, von einem schweren Grau in den Schatten. Die Ölmalerei hatte Dürer vor der niederländischen Reise lange Zeit nicht geübt; dieser Umstand, bemerkt Thausing, und die fremden, nicht selbstbereiteten Farben, auf die er während der Reise angewiesen war, erschwerten ihm wohl das Gelingen der Arbeit.[3] In der sicheren, freien und breiten Formenbehandlung ist das Bild für Dürers Kunstweise in den letzten Jahren seines Schaffens gleichwohl bezeichnend.

Von den deutschen Malern, die mit Dürer gleichzeitig thätig waren, ist keiner volkstümlicher und bekannter, als sein fränkischer Stammesgenosse Lukas Cranach (geb. 1472 in dem Städtchen Kronach in Oberfranken), der Begründer der sächsischen Malerschule des 16. Jahrhunderts. So sehr er gegen Dürer an künstlerischer Bedeutung zurücksteht, Popularität hat er fast in gleichem Maasse erlangt, wie der grosse Nürnberger, nicht blos als Künstler, zum Teil auch und nicht am wenigsten durch seine mutige Parteinahme für die Sache der Reformation, als treuer Freund und Mitstreiter Luthers. Was er als Künstler vermochte, die Eigenart und der volle Umfang seines Talents zeigt sich eigentlich nur in seinen früheren Bildern, in denen, die ungefähr bis 1520 entstanden. In der Zeit seines späteren vielgeschäftigen Lebens, als er in Wittenberg erst Kämmerer des Rates, dann Bürgermeister war und sich mit lebhaftem Erwerbseifer auf sehr verschiedenartige Unternehmungen einliess – er war Besitzer einer Apotheke und Gründer einer Buch- und Papierhandlung –, in dieser späteren Periode zeigt sein künstlerisches Schaffen vielfach den empfindlichsten Rückgang. Von den Vorzügen seiner früheren Werke, von ihrer lebensvollen und anmutigen Frische, ihrer realistischen Feinheit, ihrem farbigen Reiz ist in den meisten seiner späteren Bilder nur noch wenig vorhanden. In seine ganze künstlerische Arbeit kam ein handwerksmässiger Zug; in der eintönigen Wiederholung


  1. Die Aufschrift des Briefes gab früher zu irrtümlichen Benennungen des Dargestellten Anlass. Vgl. Ephrussi, A. Dürer et ses dessins, Paris 1882, S. 275–278; Wörmann, Repertorium für Kunstwissenschaft, VII, 446–449; VIII, 436–438.
  2. S. Thausing, Dürer, II, 216.
  3. Thausing, a. a. O. II, 198.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/70&oldid=- (Version vom 27.12.2024)