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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/72

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ihrem nicht blos in den Köpfen, auch in der Körperbildung porträtartigen Aussehen, die Eva mit ihren mageren Formen, mit den etwas spitzen Gesichtszügen, dem dünnen Haar und der hohen Stirn, dem geraden Gegenteil der antiken „angusta frons“, und der schmächtige Genosse ihr zur Seite wollen uns freilich keineswegs als Urbilder menschlicher Natur erscheinen. Aber die schlichte und naive Auffassung der beiden Gestalten und ihre so säuberliche Durchbildung hat etwas anmutendes.

Von Cranachs Söhnen war der mittlere Lukas (Lukas Cranach der jüngere) Nachfolger des Vaters in der Werkstatt, wie im Bürgermeisteramt in Wittenberg. Von seinen Bildern in der dresdner Galerie ist im Text das Porträt des Kurfürsten Moritz von Sachsen wiedergegeben. Es ist eines der trefflichsten Bildnisse des genialen, ebenso kühnen wie staatsklugen Wettiners; in der leichten, im Vergleich mit der Art des älteren Cranach weicheren Manier, in der es gemalt ist, gehört es zu den besten Arbeiten des Meisters.

Ein Vierteljahrhundert später als Dürer war Hans Holbein der jüngere geboren (1496 oder 1497). Er trat in die deutsche Kunstentwicklung ein, als die harten Schranken des 15. Jahrhunderts schon überwunden waren. Während Dürer mit seinen ersten Arbeiten noch ganz auf dem Boden der älteren Schule stand und die Befreiung von ihren Mängeln und Fesseln mit gewaltiger Kraftanstrengung errang, fand Holbein schon eine freier und höher entwickelte Kunstübung vor. Sein Vater (Hans Holbein der ältere), neben Burgkmair der Hauptmeister der augsburger Schule am Ausgang des 15. und im Beginne des 16. Jahrhunderts, zeigt in seinen späteren Werken, namentlich in dem Sebastianaltar der münchner Pinakothek, vor allem in den beiden heiligen Frauengestalten dieses berühmten Bildes, eine überraschend geklärte künstlerische Empfindung, eine Formenreinheit und Formenschönheit, auf die das Vorbild der italienischen Renaissancekunst von ersichtlichem Einfluss war. Was Holbein der Vater hier angebahnt hatte, ward von seinem grossen Sohne vollendet. In seiner Natur war tiefer, als in der jedes anderen deutschen Künstlers jener Zeit, eine Anschauungsweise begründet, die dem Renaissanceideal entgegenkam. Auch er wurzelte mit seiner ganzen Kunst in realistischer Grundlage; seine realistische Kraft hat er bewunderungswürdig vor allem in seinen Porträtwerken bewährt; zugleich aber erreichte er in den umfänglichen historischen und allegorischen Darstellungen, die wir nur noch aus seinen Entwürfen und aus Kopien kennen, eine monumentale Grösse des Stils, in der er sich den Italienern des Cinquecento ganz nahe stellte. In dem Gefühl für weiche Schönheit und Anmut der Formen, das er in vielen seiner Gestalten in so hohem Maasse offenbart, erscheint er von Dürers Art am meisten verschieden. Dieser Schönheitssinn, so sehr er zu Holbeins eigener künstlerischer Natur gehörte, ist doch offenbar unter italienischem Einfluss erst zur vollen Reife gelangt. Hinzu kam eine Stärke der eigentlich malerischen, der koloristischen Begabung, in der er Dürer entschieden überlegen war.

Sein berühmtestes Werk, die Madonna des Bürgermeisters Meyer, zeigt sein Schönheitsideal in vollendetster Form. Seinem tiefen deutschen Empfinden hat er in keinem anderen Werk einen schönheitsvolleren, anmutsreicheren Ausdruck gegeben.

Von seiner Vaterstadt Augsburg war Holbein in seinem 18. Jahre – 1515 – nach Basel übergesiedelt. Hier war er schon im folgenden Jahre zu Jakob Meyer, dem damaligen Bürgermeister der

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/72&oldid=- (Version vom 27.12.2024)