Äusserung, einer blos augenblicklichen Bewegung und Stimmung erfasst; immer haben wir die Empfindung, dass in der völligen Ungesuchtheit der Schilderung der Kern der Persönlichkeit getroffen ist.
Jenes Meisterwerk holbeinscher Porträtkunst war bekanntlich lange Zeit des Namens seines Schöpfers beraubt. Als es in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von dem Herzog von Modena erworben wurde, trug es noch Holbeins Namen[1]; Scannelli bemerkt im „Microcosmo“ (1657), es sei das Werk eines ausgezeichneten nordischen Malers, eines gewissen Olbeno; in seiner Naturwahrheit sei es wunderbar[2]. Der Dargestellte wurde damals als Graf Moretta bezeichnete[3]. Späterhin geriet der Name Holbeins gänzlich in Vergessenheit, der Name des Dargestellten verwandelte sich, aus Moretta wurde Moro, das Bild galt für ein Porträt des berühmten Lodovico Moro, für den Urheber galt Leonardo da Vinci. Mit dieser Namensmetamorphose kam das Bild 1746 nach Dresden und erst ein volles Jahrhundert später wurde die Urheberschaft Holbeins durch Rumohr wieder ans Licht gebracht. Ein bis dahin unbeachtet gebliebener Stich von Wenzel Hollar, der die Originalzeichnung zu dem Bilde wiedergiebt und in der Unterschrift den Dargestellten Morett nennt, führte zu der Annahme, ein englischer Goldschmied Hubert Morett, der für Heinrich VIII. beschäftigt war, sei in dem Gemälde porträtiert, in dem freilich nichts für diese Annahme sprach. Ohne Zweifel war der Abgebildete, wie in neuerer Zeit von S. Larpent nachgewiesen wurde[4], ein französischer Edelmann, der Sieur Charles Solier de Morette, der sich gleichzeitig mit Holbein am Hofe Heinrichs VIII. aufhielt; jene ältere Überlieferung hatte ihn zum Grafen Moretta gemacht.
- ↑ S. Venturi, la R. Galleria Estense. Modena 1882. S. 224.
- ↑ „Mirabile nella più esatta imitatione del vero“. (Scannelli, Microcosmo della Pittura. Cesena 1657, p. 266.)
- ↑ Als das Bild schon nach Italien gekommen war, wünschte es der Graf Arundel zu erwerben, wie aus dem Brief eines Sir Isaac Wake hervorgeht, in dem der Dargestellte Count of Moretta genannt wird. Der Brief wurde veröffentlicht von Sainsbury in: Unpublished papers illustrative of the life of P. P. Rubens. London 1859. Zitiert von Woltmann, a. a. O. S. 428.
- ↑ S. Larpent, Sur le portrait de Morette dans la Gal. de Dresde. Christiania 1881.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/77&oldid=- (Version vom 27.12.2024)