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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/81

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Wie Mabuse war auch er eine Zeit lang in Italien; in Genua, wo er sich wahrscheinlich zwei Mal aufhielt, befinden sich noch jetzt einige Bilder von seiner Hand. Ein Werk des Meisters aus dieser späteren Zeit ist in der dresdner Galerie die grosse Anbetung der Könige, die für die Kirche S. Luca d’Erba bei Genua gemalt war (s. d. Abb.). Vorherrschend ist hier noch immer die niederländische Art; die streng individualisierten Nebenfiguren, vor allen die beiden Gestalten zur rechten und linken Seite des Vordergrundes, der Evangelist Lukas und der hl. Dominikus mit den scharf und fein gezeichneten Charakterköpfen, die Überfülle des reichfarbigen höchst ausführlich und eingehend behandelten Details, das kleine Gefältel im Gewand des knieenden Königs, der landschaftliche Hintergrund – das alles ist in altniederländischem Geschmack; dagegen ist in dem Madonnenkopf offenbar die Nachbildung eines italienischen Typus angestrebt, die Gruppierung der Figuren, ihre „Ordinierung“ erinnert an italienische Kompositionsweise, die Architektur, die den Schauplatz des geschilderten Vorganges bildet, hat Renaissanceformen.

Von jenen niederländischen Meistern, bei denen sich der italienische Einfluss zu derselben Zeit schon weit stärker geltend macht, ist der eine, Barend van Orley, in der dresdner Galerie mit dem Bild einer heiligen Familie vertreten, das für den beginnenden Italianismus besonders charakteristisch ist. (S. d. Abb.). Das Motiv der Darstellung, die Formenzeichnung, namentlich in den beiden Kindergestalten, und die Komposition weisen aufs bestimmteste auf Raffaels Vorbild, an das sich van Orley auch in anderen Werken seiner späteren Zeit so nahe anschliesst, dass die Annahme, er habe in Rom zu Raffaels unmittelbaren Schülern gehört, nichts unwahrscheinliches hat, obschon sie durch keine ältere Nachricht ausdrücklich bestätigt wird. Ein deutlicher Rest von niederländischer Weise ist auch in dem Bild dieser hl. Familie, besonders im Charakter des landschaftlichen Hintergrunds, noch vorhanden.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als die Renaissance zu einer Weltmacht geworden war, erlischt die nationale Eigenart bei vielen, bei der Mehrzahl der niederländischen Maler vollständig. Schaarenweis pilgern sie über die Alpen, hauptsächlich nach Rom, um den grossen Stil Raffaels und Michelangelos zu lernen. Diese Romanisten, die damals hoch gepriesen wurden, sind für uns nur noch von historischem Interesse. Sie gaben die heimische Kunstweise auf und vermochten sich die italienische doch nicht anders als rein äusserlich anzueignen. In ihren kalten manieristischen, mit Überbleibseln des niederländischen Geschmacks noch immer behafteten Malereien ist gleichsam nur die äussere Geberde der italienischen Kunst nachgeahmt. Eine tiefere Aneignung der italienischen Formenanschauung, die Verschmelzung des grossen italienischen Stils mit niederländischem Wesen blieb einer spätere Entwicklungsepoche vorbehalten; am vollkommensten vollzog sie sich in der grossen rubensschen Kunst.

An Künstlern, die der nationalen Richtung treu blieben, hat es in den Niederlanden auch während der Herrschaft des Romanismus nicht gefehlt. In den genreartigen, sittenbildlichen Schilderungen des Pieter Aertsen, Pieter Brueghel d. ä. u. A. und in der Landschaftsmalerei pflanzte sich die heimische Weise am ersichtlichsten fort. Die Landschaftsmalerei, die sich ebenso wie die Genremalerei allmälig zu einem selbständigen Kunstzweig ausbildete, hielt sich zunächst durchaus in den Ueberlieferungen der eyckschen Schule. Der Reichtum an poetisch empfundnem Detail und das miniaturartige der Durchführung

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/81&oldid=- (Version vom 27.12.2024)