Die deutsche Malerei teilte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Schicksal der niederländischen. Sie verlor nun auch ihre Selbständigkeit unter dem siegreichen Vordringen des glänzenden italienischen Ideals, ihre schöpferische Kraft erlahmte, der italienische Einfluss ward hier so mächtig, dass er fast alle nationale Eigentümlichkeit vertilgte. Neben den zahlreichen deutschen Malern, die jetzt lediglich auf Nachahmung der grossen Italiener ausgingen, neben diesen eigentlich blos reproduzierenden Künstlern war nur einer wahrhaft produktiv: der eben genannte Adam Elsheimer. Er war in Frankfurt am Main 1578 geboren; dem Zuge der Zeit folgend, ging auch er nach Italien; Rom, wo er sich um 1600 niederliess, war von da bis zu seinem Tode (1620) die alleinige Stätte seines Wirkens. So bedeutend aber die italienische Kunstwelt auf ihn einwirkte, eben hier gelangte er erst zu selbständiger Entwicklung. Seine Bilder, meist Landschaften mit mythologischer oder biblischer Staffage, sind fast sämtlich von sehr kleinem Umfang, ähnlich wie die Jan Brueghels d. ä. und anderer Niederländer jener Zeit. Aber trotz ihrer Kleinheit – das unterscheidet sie zunächst von den Arbeiten der altniederländischen Schule – zeigen diese Gemälde, vor allem im Landschaftlichen, eine eigentümliche Grösse der Formen, in der man sofort den Einfluss des italienischen Stils, besonders das Vorbild der Carracci erkennt. Das Neue, das Elsheimer hinzubrachte, lag in der tief stimmungsvollen, ganz eigentlich malerischen Art der Auffassung. In seinen Landschaften, deren Motive immer der Umgebung Roms entnommen sind, vereinigt sich mit der gross erfassten Formenschönheit der südlichen Natur der poetische Reiz der mannigfaltigsten Licht- und Farbenstimmungen. Die meisten seiner Landschaften sind schon wesentlich Stimmungslandschaften, obgleich in ihnen das, was man in der Malerei „Ton“ im besonderen Sinne nennt, noch nicht ausgebildet erscheint. Die Lokalfarben sind hier nicht, wie in der eigentlichen „Tonmalerei“, in einen Gesamtton aufgelöst, aber sie sind aufs feinste zu einer tief poetischen Wirkung zusammengestimmt. Die bisweilen sehr reiche figürliche Staffage ist in die Landschaft immer meisterhaft hineinkomponiert. Die wenigen Gemälde Elsheimers, in denen mannigfach beleuchtete Innenräume den Schauplatz der Vorgänge bilden, sind nicht minder stimmungsschön; sie haben mit ihrer intimen Poesie für unser Empfinden etwas besonders anziehendes. – In den römischen Künstlerkreisen erregte Elsheimer, als er mit seinen so eigenartigen Werken hervortrat, ungewöhnliches Aufsehen; Sandrart sagt, es sei damals in Rom von nichts denn von Elsheimers neu erfundner Kunst geredet worden. Auf die holländische Schule des 17. Jahrhunderts hat seine neue malerische Anschauungsweise, das Stimmungselement seiner Bilder, weitgehenden Einfluss gehabt. Auch der grosse Meister der Landschaftsmalerei, der nicht lange nach Elsheimer in Italien auftrat, Claude Lorrain, hat von ihm wichtige Anregungen empfangen.[1]
Von den vier Gemälden Elsheimers in der dresdner Galerie sind zwei hier wiedergegeben: „Josef im Brunnen“ und „Philemon und Baucis“, jenes eine schöne waldige Thalgegend, die rechts von hohen Felswänden begrenzt wird, links ein dichter Chor prächtiger Bäume, in der Ferne Gebirgszüge in bläulichem Duft; im Vordergrund rechts eine lebhaft bewegte Gruppe von Männergestalten: Josef, der von den Brüdern in den Brunnen gesenkt wird, zur linken vor dem Hirtenzelt eine Herde Schafe und Rinder. Wirksam vor allem sind die gross und klar, ausserordentlich bestimmt gezeichneten landschaftlichen Formen. Das andere durch den Stich von Goudt bekannte Gemälde ist eines der köstlichsten
- ↑ Vgl. Bode, Studien zur Geschichte der holländischen Malerei, S. 251 ff. und Danitschek, Gesch. der deutschen Malerei, S. 547 ff.
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/83&oldid=- (Version vom 27.12.2024)