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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/85

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Die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts


Aus der italienisierenden Richtung, der die niederländische Malerei ähnlich wie die deutsche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts grossenteils verfallen war, erhob sie sich mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zu neuer Selbständigkeit, sie erlebte eine zweite Glanzepoche, während die deutsche Kunst unter den Stürmen des dreissigjährigen Krieges fast gänzlich erstarb.

In eigentümlicher Doppelgestalt entwickelte sich diese neue Kunstblüte der Niederlande. Bisher hatte ein scharf ausgesprochner Unterschied zwischen der Kunst der nördlichen und der südlichen Niederlande, ein Gegensatz zwischen holländischer und vlämischer Kunst noch nicht bestanden. Erst jetzt, mit dem Anfang des 17. Jahrhunderts, kam es zu einer wirklichen Scheidung. Sie war aufs wesentlichste bedingt durch das Ergebnis der grossen niederländischen Freiheitskämpfe, durch die politische und kirchliche Trennung der nördlichen und südlichen Niederlande. Holland befreite sich von der habsburgisch-spanischen Herrschaft, es wurde zu einem selbständigen protestantischen Freistaat, während der vlämische Teil der Niederlande unter der spanischen Herrschaft und damit zugleich unter der Herrschaft der katholischen Kirche verblieb. Seit dieser Trennung des Nordens und Südens, mit der die Verschiedenheit im Charakter der holländischen und vlämischen Bevölkerung erst in voller Bestimmtheit hervortrat, gingen nun auch die holländische und vlämische Malerei getrennte Wege, sie blieben im wesentlichen von einander geschieden, obschon sie sich an manchen Punkten berührten.

In Holland erwuchs inmitten eines völlig neuen Kulturzustandes, aus den ganz umgewandelten Verhältnissen des politischen, kirchlichen und sozialen Lebens eine neue Kunst, die mit dem vorangehenden Romanismus nicht das geringste mehr gemein hatte. Mit den Idealen der Renaissance ward hier völlig gebrochen, die hier neu entstehende Kunst war in ihrer ganz holländischen Art eine neue bedeutende Offenbarung echt germanischen Wesens; die künstlerischen Anschauungen, die in ihr zum Durchbruch kamen, gewannen zugleich für die ganze moderne Entwicklung der Malerei im europäischen Norden eine tief einschneidende, epochemachende Bedeutung.

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/85&oldid=- (Version vom 27.12.2024)