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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/86

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Rembrandt: Ganymed in den Fängen des Adlers

Anders verhielt es sich in den südlichen Provinzen der Niederlande. Hier, wo sich die alte Herrschaft behauptete und die alten Kulturzustände wiederhergestellt wurden, blieb ein Zusammenhang mit der italienischen Kunst bestehen. Die fortdauernde Hinneigung zu Italien, wie die so leicht und rasch sich vollziehende Rückkehr zum Katholizismus war offenbar nicht am wenigsten im Naturell der vlämischen Bevölkerung begründet, in der romanische (wallonische) und germanische Elemente gleich stark vertreten waren. So entschieden auch hier die neu auflebende Malerei nationalen Charakter hatte, so kraftvoll in ihrem glänzenden Aufschwung die Eigentümlichkeit des vlämischen Naturells zu Tage kam, so blieb in ihren bedeutendsten Werken italienischer Einfluss doch nachhaltig wirksam. Es kam hier zu einer wirklichen Verschmelzung italienischen und vlämischen Kunstgefühls. Die Werke der italienisierenden Richtung früherer Zeit waren eigentlich nur Pasticcios gewesen, innerlich unwahre, in sich widerspruchsvolle Produkte; jetzt entstand unter italienischer Einwirkung eine vlämische Kunst von mächtiger Eigenart, eine in sich vollkommen einheitliche Kunst.

Rubens und Rembrandt bezeichnen die Gipfelpunkte der vlämischen und holländischen Malerei dieser Epoche. Was Rubens für die vlämische, ist Rembrandt für die holländische Schule des 17. Jahrhunderts.

Die dresdner Galerie steht hinsichtlich der Zahl ihrer rubensschen Gemälde gegen andere grosse Galerien, gegen die münchner Pinakothek und das madrider Museum, gegen das Louvre und die petersburger Eremitage nicht unbeträchtlich zurück. Doch sind fast alle Stufen der künstlerischen Entwicklung des Meisters charakteristisch, zum Teil glänzend in ihr vertreten.

Aus der Periode, der die frühesten der uns erhaltnen ganz sicher beglaubigten Werke von Rubens’ Hand angehören, aus der Zeit seines Aufenthalts in Italien (1600–1608) stammen zwei oder drei Gemälde der dresdner Sammlung. In dieser Epoche, in der Rubens in Italien die verschiedenartigsten Kunsteindrücke mit wunderbar frischer Jugendkraft in sich aufnahm und verarbeitete, gewann er die eigentliche Grundlage seines künstlerischen Schaffens. Neben der Antike studierte er Michelangelo und die grossen Venezianer, neben Giulio Romano die zeitgenössischen Meister, die Carracci und den kühnen Naturalisten Caravaggio, überall sammelte er befruchtende Elemente. Man könnte ihn einen Eklektiker nennen, nur müsste man hinzusetzen, er war der genialste von allen, die so genannt werden können. Wie in einem gewaltigen Glutfeuer schmolzen die verschiedenartigen Einflüsse in seiner Natur zusammen,

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Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/86&oldid=- (Version vom 27.12.2024)