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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/87

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und sie selbst, seine urkräftige Natur, kam aus dem Schmelzfeuer in mächtiger Eigentümlichkeit ans Licht. Auf seine Formenanschauung hatte damals Michelangelo offenbar den stärksten Einfluss, im Koloristischen war die Einwirkung der derbkräftigen Manier Caravaggios vielfach grösser, als die der Venezianer, von denen er erst in einer späteren Epoche, bei seinem Aufenthalt in Madrid im Jahre 1628, tiefer beeinflusst wurde. Aber schon in seinen in Italien gemalten Bildern sind Züge seines persönlichen Wesens aufs entschiedenste ausgeprägt. Als er nach Italien kam, war er schon Meister in seiner Kunst, er hatte schon seine eigne Art zu sehen, in seiner Phantasie erhielten sich auch unter den unmittelbaren Eindrücken der italienischen Kunst kraftvolle Typen aus der Welt seiner Heimat lebendig, die aus den Bildern seiner italienischen Zeit deutlich genug herausblicken. Seinen michelangelesken Gestalten fehlt es schon damals nicht an niederländischem Charakter, sie tragen deutliche Merkmale seines vlämisch naturalistischen Empfindens. Von einigen der bald nach der Rückkehr in die Heimat entstandnen Werke, in denen der Einfluss Michelangelos besonders kräftig nachwirkte, hat man gesagt, sie seien wie eine Nachkommenschaft Michelangelos, gezeugt auf niederländischem Boden, genährt mit dem Blute der niederländischen Rasse.

Überdies stand Rubens’ Formensprache, namentlich der grossartig dekorative Stil in einer Reihe seiner Hauptwerke mit einer bestimmten Phantasierichtung seiner Zeit, mit der, die im Barock Ausdruck erhielt, in sehr lebendigem Zusammenhang. In den vlämischen, wieder katholisch gewordnen Provinzen fand der Barockstil, der grosse Verbündete des Katholizismus, im Gebiet der Malerei ebenso günstigen Boden, wie in dem der Architektur. Aus Rubens’ grossen dekorativen Malereien spricht der echte Geist der Barockzeit; sie sind in ihrer pomphaften Pracht, in den üppig schwellenden Formen kühn bewegter Gestalten der Art des Bernini und Lebrun entschieden verwandt, nur dass auch in diesen Werken durchweg ein tieferes und gewaltigeres Naturgefühl lebt, als in allem, was die beiden berühmten Barockhelden geschaffen haben.

Was die Gegenstände von Rubens’ Gemälden betrifft, so gehören sie zu einem grossen Teil völlig in den Gedankenkreis, in dem sich die monumentale Kunst der Italiener bewegte. Seine Kirchenbilder und seine mythologischen Darstellungen enthalten in ihrer neuen Kunstform, man kann sagen, die ganze Phantasiewelt des Cinquecento. Ausser einer beträchtlichen Zahl von Bildnissen und geschichtlichen, meist mit allegorischen Gestalten reich ausgestatteten Kompositionen hat aber Rubens auch Werke geschaffen, in denen er in jedem Sinne neu, auch in der Stoffwahl völlig neu erscheint, Gemälde, in denen er in seinem grossen Stil rein realistische Motive behandelte, genreartige Bilder, mächtige dramatische Schilderungen von Kampf- und Jagdszenen und landschaftliche Darstellungen, für die er in seiner letzten Zeit eine besondere Vorliebe hatte.

Die beiden umfänglichen Bilder der dresdner Galerie, von denen es ganz sicher ist, dass sie zu den in Italien entstandnen Werken des Meisters gehören, sind der „trunkene Herkules“ und der „Tugendheld“. Von Mantua, wo sie Rubens für den Herzog Vincenzo Gonzaga gemalt hatte, kamen sie 1743 nach Dresden. Sie bilden Gegenstücke zu einander. Das zweite, hier wiedergegebne schildert dem antiken Heros gegenüber, der trunken von Satyrn und üppigen Nymphen geführt wird, den Triumph heldenhafter Tugend über die Verlockungen eines sinnlichen Genusslebens. In der Mitte

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/87&oldid=- (Version vom 27.12.2024)