das er in der rechten hält, abflattern lassen. Durch Vorzüge der Charakteristik, an individuellem Reiz sind die beiden Bildnisse manchen andern Porträtwerken des Meisters beträchtlich überlegen.
Die Gemälde, mit denen Van Dyck, Rubens’ bedeutendster Schüler in der dresdner Galerie vertreten ist, sind zum weitaus grössten Teile Porträts. Von ihnen haben nicht wenige, obschon sie im 18. Jahrhundert, nach den Angaben der Inventare der Galerie unter Van Dycks Namen erworben wurden, späterhin lange für rubenssche Werke gegolten. In neuerer Zeit hat W. Bode, ohne von diesen Angaben Kenntnis zu haben, die Hand Van Dycks in ihnen zuerst wiedererkannt[1]. Sie stammen aus der Jugendepoche des Meisters, aus der Zeit, in der er unter Rubens’ unmittelbarem Einfluss stand. Eines dieser Gemälde, das in unserm Werke wiedergegebne vorzügliche Bildnis eines Herrn in vornehmer schwarzer Tracht, der im Begriff ist, die Handschuhe anzuziehn, ist für jene Jugendepoche Van Dycks ganz besonders charakteristisch. Von Rubens sagt Fromentin[2], er sei nicht zu den Porträtmalern par excellence zu rechnen, eine scharf ins Individuelle eindringende Beobachtungsgabe, die Fähigkeit, „sich dem Modell unterzuordnen“, habe ihm gefehlt; durch das stark Subjektive seiner Auffassungsweise sei eine Art von Familienähnlichkeit unter seinen Bildnissen entstanden, gewisse typische Züge seien ihnen gemeinsam. In der That, ein Künstler, wie Rubens, in dessen Wesen es lag, sich der Natur mit herrischer Kraft zu bemächtigen, sie in ihren grossen Zügen zu erfassen, war zum eigentlichen Porträtmaler nicht geschaffen. Bildnisse von einem gleich individuellen Charakter, wie jenes Porträt seiner Söhne, sind Rubens nur selten gelungen. Stand er den Aufgaben der eigentlichen Porträtkunst auch nicht so fern, wie Michelangelo, sein Verhältnis zu solchen Aufgaben war doch ein ähnliches. Die Fähigkeit zu jener Vertiefung ins Individuelle, zu der vollen Hingebung an das Objekt, die wir vom Porträtmaler erwarten, war seiner künstlerischen Natur nicht eigen, er vermochte sich seiner selbst nicht so sehr zu entäussern, dass wir über einem Porträt von seiner Hand ihn selbst vergässen. Weit mehr war die empfängliche, sensible Natur Van Dycks zu einem Eingehn in fremde Eigenart, zur Wiedergabe des Individuellen befähigt. In den dresdner Porträts aus seiner Jugendepoche ist es gerade der vollere Ausdruck des Individuellen, der sie von der rubensschen Art unterscheidet; ausgezeichnet vor allem durch eindringliche Charakteristik ist jenes männliche Bildnis. Was hier rubensschen Einfluss zu erkennen giebt, das ist lediglich die ausserordentlich kraftvolle malerische Behandlung; in der Energie und Breite der Behandlung ist Van Dyck in dieser ersten Zeit seiner künstlerischen Entwicklung dem Rubens oftmals erstaunlich ähnlich, bisweilen sucht er ihn darin auch zu überbieten; später, in der Zeit seines ganz selbständigen Schaffens ist von dieser Behandlungsweise nichts mehr zu finden. – Aus seiner zweiten Periode, aus der Zeit seines Aufenthalts in Italien (1623–1627) und der darauf folgenden Zeit in Antwerpen bis 1632, aus dieser in vieler Beziehung bedeutendsten Epoche Van Dycks, in der er an leuchtender Schönheit und Pracht der Farbe mit Tizian wetteifert, hat die dresdner Galerie leider kein hervorragendes Werk aufzuweisen. Aus der letzten Periode (1632–1641), in der Van Dyck als Hofmaler Karls I von England fast ausschliesslich in London und fast nur im Gebiet der Porträtmalerei thätig war, besitzt sie das berühmte Bildnis von drei Kindern Karls I und ein Porträt seiner Gemahlin Henriette von Frankreich. (S. d. Abb.) Van Dycks feine, recht eigentlich aristokratische Kunst und seine vornehme, chevalereske Persönlichkeit
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/93&oldid=- (Version vom 27.12.2024)