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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/95

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Zu einer ebenso bedeutenden und glänzenden Stellung, wie sie Van Dyck neben Rubens’ überragender Grösse einnimmt, ist kein anderer von Rubens’ Schülern, keiner seiner Nachfolger gelangt. Die meisten standen so völlig unter der Herrschaft, unter dem Bann des Gewaltigen, dass sich ihnen nur geringe Spuren einer bestimmten künstlerischen Eigenart erhielten. Zu den wenigen, die eine gewisse Selbständigkeit behaupteten, gehört Jakob Jordaens, nach Rubens’ Tode der angesehenste Maler in Antwerpen. Er war kein eigentlicher Schüler von Rubens, seine grossen religiösen und mythologischen Bilder zeigen aber, wie tief er von ihm beeinflusst war. Nur in einem Gebiet, in der Genremalerei, erscheint er wirklich originell. Man hat ihn den vlämischsten unter allen vlämischen Malern jener Zeit genannt. Von der Derbheit, die mit dem Worte vlämisch noch jetzt häufig bezeichnet wird, ist ein gut Stück in seinen Genrebildern, zugleich aber auch ein überaus gesunder und urwüchsiger Humor. Ausser seinen bekannten Schilderungen des niederländischen „Bohnenfestes“ sind das beste Beispiel dafür die nicht weniger zahlreichen Bilder, die den Spruch „wie die Alten sungen, so pfeifen die Jungen“ (soo d’ouden songen, soo pepen de jonge) illustrieren. Das in der dresdner Galerie befindliche ist im Text wiedergegeben: eine behäbige echt vlämische Familie sitzt nach der „deftigen“ Schmauserei noch an dem mit Speiseresten und Weinbechern beladenen Tisch und führt ein merkwürdiges Konzert auf; der Alte mit der Brille auf der Nase und hochgezogenen Augenbrauen, ein Notenblatt in den Händen, hat ein Lied angestimmt, die Alte neben ihm singt mit, ein pausbäckiger Junge bläst die Pfeife, der Bursche im Hintergrund aus vollen Kräften den Dudelsack; auch das Jüngste versucht zu pfeifen, es sitzt kugelrund auf dem Schooss der Mutter, die in breitester Leibesfülle den Hauptplatz am Tische einnimmt und behaglich, ein volles Glas in der rechten, in weinseliger Stimmung zuhört. Im Vordergrund ein mächtiger Weinkühler mit Krügen, zwei Hunde, von denen sich der eine an dem Konzert beteiligt, auf der Rücklehne des grossen Armsessels ein uralter Papagei. Zu seiner tiefen Nachdenklichkeit passt das Memento, das dieser Schilderung behäbigsten Lebensgenusses beigegeben ist: in der Wandnische über dem Papagei liegt auf Büchern ein Totenkopf, daneben ein Zettel mit der Inschrift: Cogita mori. – Das Bild ist in seinem derben, grotesken Humor, in seiner massiven Üppigkeit, in der ausbündig kräftigen Art, wie die fast lebensgrossen Figuren gemalt sind, ein hervorragend charakteristisches Werk des Meisters; die Farbe hat den warmen bräunlichen Gesamtton, der Jordaens’ späteren Bildern eigentümlich ist.[1]

So gross und gewaltig der Einfluss war, den Rubens auf die vlämische Malerei ausübte, innerhalb gewisser Grenzen verfolgte sie doch noch immer altniederländische Wege. In einer beträchtlichen Reihe vlämischer Meister setzte sich neben dem grossen rubensschen Stil auf einer höheren Stufe der koloristischen Entwicklung die Richtung der altniederländischen Kleinmalerei fort, hauptsächlich im Gebiet genrehafter, sittenbildlicher Darstellungen. Adriaen Brouwer und David Teniers d. j., die man nach ihrem künstlerischen Charakter erst in neuerer Zeit richtiger beurteilen gelernt hat, stehn hier obenan. Brouwer, ein abenteuerlustiges Naturell, ein „Bohémien“, der manchen tollen Streich verübt hat, war als Künstler der bedeutendere. (Geboren um 1605 in Oudenaarde in Flandern, in Haarlem eine Zeit lang Schüler von Frans Hals, während der letzten sieben Jahre seines Lebens in Antwerpen thätig, wo er in mehrfachen Bedrängnissen an Rubens einen Gönner und Beschützer fand; gestorben 1638.)


  1. Vgl. Rooses, Die Malerschule Antwerpens, S. 352 ff.; Bode a. a. O. IV.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/95&oldid=- (Version vom 27.12.2024)