Seite:George Sand Indiana.djvu/106

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seinen Vorurteilen angeschlossen, um im stillen sich darüber lustig zu machen, sie würde ihm geschmeichelt, würde ihn getäuscht haben. Aber Heucheln und Täuschen war in ihren Augen ein Verbrechen und zwanzigmal in einem Tage war sie im Begriff, ihrem Gatten zu gestehen, daß sie Raymon liebe; nur die Furcht, den Geliebten zu verlieren, hielt sie davon zurück. Ihr kalter, schweigender Gehorsam reizte den Oberst weit mehr, als offener Widerstand es vermocht hätte, denn er mußte sich gestehen, daß er wohl befehlen, aber nicht überzeugen könne. Wenn er zuweilen eine verkehrte Anordnung tat, die Indiana, ohne ihre richtigere Meinung geltend zu machen, mit der mechanischen Unterwerfung eines Sklaven ausführte, und wenn er dann sehen mußte, wie sehr die Folgen ihres blinden Gehorsams sein Interesse schädigten, so geriet er in furchtbare Wut, und das schlimmste dabei war, daß er sich selbst als Schuldigen anklagen mußte. In solchen Augenblicken hätte er Indiana umbringen können.

Und doch liebte er im Grunde seines Herzens diese schwache Frau. Wenn er des Morgens in ihr Zimmer trat, in der Absicht, mit ihr zu zanken, so fand er sie zuweilen schlafend und wagte nicht, sie aufzuwecken. Er betrachtete sie schweigend, erschrak über ihre Zartheit, über die Blässe ihrer Wangen, über den Ausdruck schwärmerischer Ergebung, der sich in diesen stummen Zügen aussprach. Dann schämte er sich, daß ein so schwächliches Wesen auf sein Geschick einen Einfluß gewonnen hatte, auf ihn, den Mann von Eisen, gewohnt, durch ein einziges Kommandowort ganze Schwadronen in Bewegung zu setzen.

Dieses Weib, fast noch ein Kind, das er, wenn er gewollt hätte, mit seiner Hand hätte zerdrücken können, da lag sie, hinfällig, unter seinen Augen vielleicht von einem andern träumend und selbst im Schlafe ihm trotzend. Er fühlte sich versucht, sie an den Haaren herumzuschleifen, um sie zu zwingen, um Gnade zu bitten; aber sie war so hübsch, so zierlich, so weiß,

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)