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Fünfzehntes Kapitel.

Frau Delmare hatte sich, nachdem sie ihren Vetter verlassen, in ihr Zimmer eingeschlossen und tausend stürmische Gedanken waren in ihrer Seele erwacht. Nicht zum erstenmal warf ein unbestimmter Verdacht sein düsteres Licht auf das schwache Gebäude ihres Glückes. Einige Zeit vor Nouns Tode hatte Indiana einen kostbaren Ring an ihrem Finger bemerkt. Diesen Ring, den Noun gefunden haben wollte, trug Indiana nun als heiliges Andenken an die unglückliche Freundin, und oft hatte sie Raymon erbleichen sehen, wenn er ihre Hand ergriff, um sie an seine Lippen zu drücken. Einmal hatte er sie gebeten, nie mit ihm von Noun zu sprechen, weil er sich als die Ursache ihres Todes betrachtete, und als sie ihm diesen Gedanken auszureden suchte, indem sie sich selbst die Schuldige nannte, hatte er ihr geantwortet: „Nein, arme Indiana, klage dich nicht an, du weißt nicht, wie sehr ich strafbar bin.“

Dieses in einem bitteren Tone gesprochene Wort hatte Indiana erschreckt. Sie hatte nicht gewagt, mit Fragen in ihn zu dringen, und jetzt fehlte es ihr an Mut, darüber nachzudenken und eine Folgerung daraus zu ziehen. Als sie sich erinnerte, daß Raymon kommen sollte, als sie an all das Glück dachte, welches sie sich von dieser Stunde versprochen hatte, da verwünschte sie Ralph und wollte lieber ihn anklagen, als einen Verdacht gegen Raymon aufkommen zu lassen.

Plötzlich kam sie auf einen jener seltsamen, unklaren Einfälle, wie sie sich in unglücklichen Stimmungen und bei heftigen nervösen Aufregungen nicht selten einzufinden pflegen. Sie wollte Herrn von Ramière auf eine eigentümliche Probe stellen, auf die er nicht gefaßt sein konnte. Kaum hatte sie ihre Vorbereitungen hiezu getroffen, als sie Raymons Schritte auf der geheimen Treppe hörte. Sie eilte, ihm zu öffnen und setzte sich dann rasch wieder nieder. Wie in allen

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/92&oldid=- (Version vom 1.8.2018)