kleinliche und doch vornehme Mann die Geister an der Wende von zwei Jahrhunderten und geberdet sich als Gegner des Humanismus und der Reformation, obgleich er sein ganzes Leben lang für die Ideen gekämpft hatte, welche diese beiden gewaltigen Erscheinungen bedingten. So hat kein Humanist wuchtigere Hiebe gegen den römischen Klerus, gegen das faule Mönchsleben geführt, kein Reformator überzeugender für die geistige Auffassung der biblischen Legende und für die Verinnerlichung des Glaubens geschrieben. Erasmus war eben, wie die Dunkelmännerbriefe ihn charakterisierten, ein Mann für sich und wollte es sein; er hat, wie ihn seine Gegner gern beschuldigten, das Ei gelegt, welches Luther erst ausgebrütet hat. Er war radikaler Humanist, dem die Bewegung vielfach nicht weit genug ging, aber er hielt sich von der Gefahr fern und sah dem Kampfe lieber von weitem zu. Als die Reformation auf den ihr vom Humanismus bereiteten Platz trat, zog er sich scheu in sein Studierzimmer zurück, angeekelt von einer Bewegung, welche sich nicht an die gelehrte Welt, sondern an die Massen wandte und diese zu Bundesgenossen, ja zu Schiedsrichtern im Kampfe gegen Rom aufrufen mußte. Erasmus war nicht für den Streit auf offenem Markte geschaffen, so bitter er auch hassen und aus sicherm Hinterhalte verwunden konnte; er wagte deshalb auch nicht ehrlich nach außen hin für seine Überzeugung einzutreten. Es fehlte ihm jener Mut und jene Treue der Gesinnung, welche sich bei entschlossenen Charakteren gerade im Moment der Gefahr bewähren. Er wich deshalb auch ängstlich vor jeder entschiedenen Parteinahme zurück. So geriet er denn sehr bald zwischen die streitenden Parteien, deren keine ihm traute, ja nicht trauen konnte, wenn sie seine Stellung in der Gegenwart mit seiner Vergangenheit verglich. Rom haßte ihn trotz der wichtigen Dienste, die er ihm geleistet hatte, bald ebenso gründlich wie die Lutheraner. Allerdings konnte man einem so bedeutenden vaterlandslosen Gelehrten, einem so vorurteilslosen Denker nicht zumuten, daß er sich für alle Einzelheiten der Lutherschen Lehre begeistern sollte; allein in revolutionären Zeiten muß der einzelne sich in Fragen zweiten Ranges unterordnen und trotz seiner vielleicht bessern Einsicht einer der streitenden Parteien sich anschließen, wenn er nicht von der unaufhaltsam vorwärts drängenden Bewegung zermalmt werden will. Erasmus aber ist zugleich voll von Mißgunst und nicht frei von Neid und Bosheit. Wenn ihn persönlicher Stolz verhindert hatte, fest
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_06.djvu/010&oldid=- (Version vom 1.8.2018)