Beweise für diese Thatsache finden sich fast in jedem klassischen Schriftsteller. So wurde das erste Buch, von dessen gewaltsamer Unterdrückung die Geschichte berichtet, kaum 20 Jahre nach dem Tode des Perikles in Athen dem Scheiterhaufen überliefert. Der Philosoph Protagoras hatte nämlich in einem gelehrten Werke die Existenz der griechischen Götter bezweifelt: Grund genug für die priesterlichen Pächter des Olymp, ihren Zorn ob des zerstörten Besitzstandes durch die Konfiszierung und Verbrennung des Buchs und durch die Bestrafung des Verfassers zu kühlen. Dieser floh, um dem Schirlingbecher zu entgehen, und fand, wie es heißt, auf offenem Boote in den Meeresfluten den Tod: das erste Einschreiten des Staates auf Betrieb der Kirche![1] Bei den Römern enthielten schon die Zwölf Tafeln strenge Bestimmungen über öffentliche Schmähungen und Pasquille. Augustus war nach Tacitus der erste, welcher das geschriebene oder gesprochene Wort strafte. Während das Majestätsgesetz der Republik bisher nur strafbare Thaten gekannt hatte, dehnte der Kaiser die gerichtliche Untersuchung und Strafe auch auf Schmähschriften und Spottgedichte (libelli famosi) aus. So befahl er denn auch, die Schriften des Labienus öffentlich zu verbrennen. Sein Nachfolger Tiberius verfolgte mit noch größerm Haß das geschriebene Wort. „Für Worte werde ich zur Verantwortung gezogen, so wenig fallen Handlungen mir zur Last“, sagte Cremutius Cordus, der ob der bloßen gegen ihn gerichteten Anklage bereits auf sein Leben verzichtet hatte und den freiwilligen Hungertod starb. Und doch hatte er bloß den Gajus Cassius den letzten Römer genannt. Seine Schriften sollten durch die Ädilen verbrannt werden, erhielten sich aber im Publikum unter dem Schutze der Verborgenheit. „Um so mehr möchte man“, sagte Tacitus[2] bei dieser Gelegenheit mit vornehmem Hohn, „über die Beschränktheit derjenigen lachen, welche für den Augenblick im Besitze der Macht, auch das Andenken bei der Nachwelt austilgen zu können wähnen. Im Gegenteil, man verhänge nur Strafen über die Geister und es wächst ihre Geltung; und nichts anderes haben auswärtige Könige und andere, welche die gleiche Tyrannei geübt, erzielt, als ihre eigene Schande und den Ruhm des Verfolgten.“ Als die von Nero verbotenen Schriften des Vejinto nachmals wieder herausgegeben wurden, meinte Tacitus: „So lange ihre Anschaffung mit Gefahr verbunden war, wurden sie eifrig gesucht und gelesen; durch die Erlaubnis, sie zu besitzen, gerieten sie
Fußnoten
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_09.djvu/002&oldid=- (Version vom 1.8.2018)