Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 461.jpg

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will und dabei jenen Fingernagel herauszieht.[1] – Ein Menschenfresser tritt auch im kabylischen Märchen bei Rivière p. 215 ‘Thizurith Imellah’ auf; auf Geheiß der Mutter, die den Mond statt des Spiegels befragt, muß der Vater der Heldin eine Opiumpille beibringen; der Gatte lädt die Leiche in einer Kiste auf ein Kamel; Haremsfrauen des Sultans erwecken sie. – Aus Algier bei H. Carnoy, ‘Amna et sa marâtre’ (Tradition 20, 5. 1906. Sonne statt Spiegel befragt; bei sieben Dschinnen; die giftige Dattel zieht ihr eine Schwester des Königs aus dem Munde). – Portugiesischen Einfluß verraten die westafrikanischen Fassungen bei Chatelain nr. 1 ‘Ngana Fenda Maria’ (Zauberspiegel; Maria erlöst den schönen Milanda aus seinem Zauberschlaf, doch eine Sklavin verdrängt sie wie bei Basile 5, nr. 9, Gonzenbach nr. 13, Braga 2, 197; sie klagts leblosen Dingen wie bei Gonzenbach nr. 11, oben S. 439) und Nassau p. 337 = Macculloch p. 34 ‘The beautiful daughter’ (Spiegel; bei Räubern; Schlafnadel von Ogulas, des späteren Gatten, Tochter herausgezogen). Ebenso die brasilische bei Roméro nr. 37 ‘A mulher e a filha bonita’ (A B C¹ D E. Bei Räubern; Schuhe von der Schwester des Prinzen ausgezogen, Heirat, Verleumdung der Wöchnerin, wie im Mädchen ohne Hände).

Genauere Angaben über die einzelnen Varianten und eine Übersicht der Motive bieten die sorgfältigen ‘Sneewittchenstudien’ von E. Böklen (1. Teil, Leipzig 1910). Der Einfluß andrer Märchenkreise wie Hänsel und Gretel, der sieben Raben, Dornröschens, des Mädchens ohne Hände, der untergeschobenen Braut, Einäuglein usw. zeigt sich darin, daß die Verfolgungen der Heldin nicht nur von der Stiefmutter ausgehen, sondern auch vom Vater, von neidischen Schwestern, ja infolge von Verleumdung und Briefvertauschung auch vom Gatten, von der Schwiegermutter, einer Nebenfrau oder Dienerin.

Auch im Eingange des Machandelbaums (nr. 47) und in einer Variante des Aschenputtels (nr. 21) steht der Wunsch der kinderlosen Frau nach einem Kinde, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz, ein uralter poetischer Ausdruck der Schönheit. So steigt vor Parzival (Wolfram 282, 20.


  1. Dieser Nagel erinnert an die Flachsfaser, die in dem oben S. 438 angeführten arabischen Märchen (Spitta-Bey nr. 8), bei Basile und im Perceforest die Jungfrau in den Finger sticht und in Schlaf versenkt.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_461.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)