Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I/Van den Machandelboom
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47. Van den Machandelboom. | 1856 S. 77. |
1812 nr. 47. Zusammen mit nr. 19 ‘De Fischer un sine Fru’ von Otto Runge († 1810) in pommerscher Mundart aufgezeichnet und 1806 an den Heidelberger Verleger des Wunderhorns J. G. Zimmer gesandt. Gedruckt ward das Stück 1808 in A. v. Arnims Trösteinsamkeit S. 229 = 1883 S. 279 ‘Von den Mahandel Bohm’ und danach 1812 in Büschings Volkssagen, Märchen und Legenden S. 245 nr. 57. Der Grimmsche Text von 1812 enthält eine Reihe eigenmächtiger Änderungen des Berliner Verlegers Georg Reimer; später ist die ‘dem Hamburgischen Dialekte anbequemte’ Fassung, die Daniel Runge 1840 in den Werken seines Bruders Otto (1, 424) [413] dem Märchen gab, von den Brüdern Grimm übernommen worden[1]. – Der Eingang von den Blutstropfen im Schnee erinnert an Sneewittchen (nr. 53). Marleenken ist zusammengezogen aus Maria Magdalena.
Nach einer Erzählung aus der Pfalz, die Mone vor 1822 den Brüdern Grimm mitteilte, wird das Schwesterchen von der Mutter neben den Topf gestellt, worin das gemordete Brüderchen kochen soll. Es ist ihm streng verboten hineinzusehen; doch wie es so arg in dem Topf kocht, deckt es einmal auf, und da streckt ihm das Brüderchen das Händchen heraus. Darüber kriegt es Angst und macht gleich wieder zu, weint aber dabei. Wie es gar gekocht ist, muß es dem Vater das Essen in den Weingarten hinaustragen; es sammelt die Knochen und begräbt sie unter einen wilden Mandelbaum [!]. Andere erzählen, es hätte sie eingefädelt und zum Speicher hinausgehängt. Da ist das Brüderchen in ein Vögelchen verwandelt worden und hat gepfiffen:
‘Mei Moddr hot mi toudt g’schlagn,
Mei Schwestr hot mi hinausgetragn,
Mei Vaddr hot mi gesse;
I bin doch noh do,
Kiwitt, Kiwitt!’
[414] Ähnlich bei Jegerlehner, Aus dem Oberwallis S. 103 ‘Schwester und Bruder’. – Auch erzählt man in der Pfalz noch eine andere Einleitung: die Stiefmutter schickt einmal die zwei Kinder in den Wald, Erdbeeren zu suchen; wer der erste heim wird kommen, soll einen Apfel haben. Da bindet das Bübchen das Mädchen an einen Baum und kommt zuerst zurück; die Mutter hat ihm aber nichts geben wollen, bis er sein Schwesterchen erst heim gebracht. – Die Geschichte wird in Hessen häufig, selten aber so vollständig erzählt; es läßt sich daraus etwa nur noch hinzusetzen, daß das Schwesterchen die Knochen an einem rotseidenen Faden zusammen reiht. Die Verse lauten:
Meine Mutter kocht mich,
Mein Vater aß mich;
Schwesterchen unterm Tische saß,
Die Knöchlein all all auflas,
Warf sie übern Birnbaum hinaus,
Da ward ein Vöglein daraus,
Das singet Tag und Nacht.
In einer andern hessischen Fassung (Zs. des V. f. hess. Geschichte 6, 361. 1854 = Hoffmeister 1869 S. 14 ‘Die böse Mutter’) wirft der Vogel Weck, Wurst, Schlappen, Leibchen und endlich einen Mühlstein herab; er singt:
Meine Mutter mich erschlug,
Meine Schwester mich trug,
Mein Vater mich aß,
Mein Schwesterje mich zusammenlas
Auf e Stöckelje (Wurzelstock),
Ich fortflog, bi e Vögelge.
In einer schwäbischen, sonst unvollständigen Erzählung bei Meier Nr. 2 ‘Das Vöglein auf der Eiche’:
Zwick! zwick!
Ein schönes Vöglein bin ich.
Mein Mutter hat mich kocht,
Mein Vater hat mich geßt.
Brentano hörte, wie er im Januar 1806 berichtet (Steig, Arnim und Brentano 1894 S. 161) das Märchen als Knabe von einer achtzigjährigen schwäbischen Amme; hier wurde eine goldene Kette an den Vater und ein Paar rote Schuhe an die Tochter verschenkt. – Aus Thüringen fragmentarisch bei Bechstein 1845 S. 214 ‘Vom Knäblein, vom Mägdlein und von der bösen Stiefmutter’ (Stiefmutter hat uns totgeschlagen, Hat Äpfelkasten zugeschlagen); 1874 S. 211 ‘Der Wachholderbaum’ (nach Grimm). – Aus Tirol bei Zingerle 1 ², 54 nr. 12 ‘Mädchen und Bübchen’:
Zwie zwei, meine Mutter ist a znichts Weib,
Meine Mutter hat mich abgschlagen,
Meine Schwester hat mich nausgtragen,
Mein Vater hat die Beinlein abgnagen.
Zwie zwei, meine Mutter ist a znichts Weib.
Hier wird die Mörderin, wie sie die Vögel verscheuchen will, von der schweren Stubentür erschlagen. – Aus der Oberpfalz bei Panzer 2, 169. In einer Variante ebd. 2, 170 ists kein Knabe, sondern ein Mädchen, das von der Stiefmutter erschlagen wird:
Meine Mutter mich schlug, mein Vater mich aß,
Mein klein Schwesterlein band zusammen die Bein,
Tat sie in eine Binde, grub sie unter die Linde;
Daraus ward ich kleines Waldvögelein.
Aus Waldeck bei Curtze S. 42 nr. 7 ‘Das Vögelchen’:
Meine Mutter hat mich tot geschlagen,
Meine Schwester in den Berg [!] getragen,
Mein Vater hat mich gegessen;
Bin doch noch da, bin doch noch da!
Aus dem Kreise Höxter bei Firmenich 1, 311 ‘Heinrich un Marleineke’:
Min Mutter, dei mi slacht,
Min Vatter, dei mi att,
Min Swäster dei Marleineke
Namm olle mine Beineke,
Bund se innen seiden Dauk
Un grauf se undern Machollerbam.
Aus dem Anhaltischen ebd. 2, 226 ‘Vom armen Christiänchen’:
Meine Schwester Leenechen
Bindt mich meine Beenechen
Mit ann seiden Fädechen
Widde widde widd,
Was vorr an schön Völichen bin ich!
Aus Schlesien bei F. v. Arnim 1844 S. 39 nr. 7 ‘Von dem Fleischer, dessen Sohn zu einem Sperling wird’:
Schwinderlind, Schwinderlind
Ich bin Meister Fleischers sein klein Kind.
Meine Schwester Lehnel
Band mir meine Behnel
In ein seiden Tüchlein. …
[416] Der Vater übergibt die Mörderin dem Richter. – Bei Peter 2, 203 ‘Das Vöglein auf dem Baume’:
Schiling, schiling, ich armes Kind!
Die Mutter hat mich erschlagen
Und mir gebrochen den Kragen,
Der Vater hat mich gegessen
Mit Gabel und mit Messer.
Ein Blitzstrahl tötet die Mörderin. – Auch Goethe kannte das Märchen von Kind auf; er spricht im März 1774 (an Sophie von La Roche. Werke IV, 2, 152) von ‘jenem Mühlstein, der vom Himmel fiel’, und legt in der Kerkerszene des Urfaust (Werke 14, 283) der von Wahnsinn befallenen Kindesmörderin die Verse des getöteten Knaben in den Mund:
‘Meine Mutter, die Hur,
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein
An einem kühlen Ort.
Da ward ich ein schönes Waldvögelein,
Fliege fort, fliege fort.
… Es ist nicht wahr, es ist ein Märgen, das sich so endigt.’
Vlämisch bei de Mont en de Cock, Wondersprookjes S. 235 ‘Van de booze moeder en den straffenden noteboom’:
Mijn moeder heeft mij vermoord,
Mijn vader heeft mij geeten,
En mijn suster heeft mijn beentjes al
Onder den noteboom gesteken.
Volkskunde 1, 229 ‘Janneken en Mieken’. – Dänisch in Grundtvigs hsl. Register nr. 41 ‘Den lille fugl’. Kristensen, Äventyr 2, 381 nr. 59 ‘Den lille fugls Sang’:
Min Moder har hugget mit Hoved af,
Min Fader har spist mit Kjød,
Min lille Søster Berline
Samlede mine Bene
Og lagde dem i et gyldent Skrin.
Hvit, fel hvit! saa blev jeg til saa dejlig en Fugl.
Kristensen, Fra Bindestue 2, 88 nr. 15 ‘Søster Simmelin og Drengens Ben’. Skattegraveren 11, 183 ‘Broder og Søster’ und 12, 117 ‘Den [417] lille fugl’. – Schwedisch nach Grimm als Volksbuch ‘Enbusken’, Stockholm 1824 u. ö. (Bäckström 2, 115–123). Hackmans Register nr. 720. – Aus einem englischen Kindermärchen[2] führt Leyden (The complaynt of Scotland 1801) an: ‘The spirit of a child in the form of a bird whistle the following verse to its father:
Pew wew, pew wew,
My minny me slew.’
Chambers, Pop. rhymes of Scotland 1847 p. 203 = 1870 p. 49 ‘The milk white doo’ = Brueyre p. 294 nr. 71 = Douglas, Scottish fairy tales p. 5. Aus Devonshire bei Baring-Gould nr. 1 (Henderson p. 314) = Jacobs, English f. t. nr. 3 ‘The rose-tree’:
My wicked mother slew me,
My dear father ate me,
My little brother whom I love
Sits below, and I singe above
Stick, stock, stone dead.
Aus Yorkshire bei Blakeborough, Wit of Yorkshire 1898 p. 273 ‘The cruel stepmother and her little daughter’; hier schlägt die Stiefmutter dem Mädchen das Haupt ab und setzt das Herz dem Vater vor; der weiße Vogel aus dem Rosenstrauch auf dem Grabe pickt an den Schornstein und wirft dem Bruder ein Schwert, dem Vater eine Uhr, der Mutter aber einen sie zerschmetternden Stein zu; Verse fehlen. Aus Australien bei Jacobs 1, 234 ‘Orange and lemon’:
My mother killed me,
My father picked up my bones,
My little sister buried me
Under the marble stones.
Ähnlich bei Jones-Kropf, Folk-tales of the Magyars p. 418–420 und Notes and queries 4. ser. 6, 496. – Wallonisch im Bull. de folklore 1, 150 ‘Le collier rouge’:
Ma mère m’a tué,
Ma soeur m’a porté,
Mon père m’a mangé,
Ma soeur a ramassé les os.
Elle a été les laver
À la fontaine da curé.
Elle a été les mettre sécher
À la niche du vieux saule.
[418] Revue des trad. pop. 23, 408 ‘Le squelette qui chante’ (statt des Vogels ein Gerippe auf dem Dache):
Ma mère m’a tué,
Mon père m’a mangé,
Ma soeur m’a ramassé.
Excavation de saule!
An bout da sept ans je suis ressuscité.
Mais lorsque ma mère viendra ici,
Je lui laisserai tomber une meule sur la tête.
Aus Frankreich bei Sébillot, Contes 1, 336 nr. 60 ‘Les souliers rouges’ und Litt. orale p. 223 ‘Les petits souliers rouges’. Aus dem Morbihan Revue des trad. pop. 16, 393 nr. 4 ‘L’os qui chante’ (Schluß entstellt); 22, 28 nr. 54; 23, 131 nr. 77 ‘La pomme rouge’. Pineau, Contes p. 75 ‘Le pigeon blanc’:
Ma tante m’a tué,
Mon père m’a mangé,
Ma petite soeur Marguerite m’a ramassé,
M’a mis sur un petit aubépin,
M’a dit: Fleuris, fleuris, mon petit frère!
Carnoy, Picardie p. 229 ‘La mère cruelle’. Prato, La Tradition 1, 114 (1887). Revue des trad. pop. 1, 299 ‘Camilletta’ (Mentone). Eine Fassung aus Languedoc hat C. S. im Globe 1830, 12. Juli nr. 146 ‘De la ballade de Marguerite dans le Faust de Goethe’ veröffentlicht[3]; das Vöglein singt:
Ma marâtre
Pique pâtre
M’a fait bouillir
Et rebouillir.
Mon père,
Le laboureur,
M’a mangé
Et rongé.
Ma jeune soeur
La Lisette
M’a pleuré
Et soupiré,
Sous un abre
M’a enterré.
Riou tsiou tsiou,
Je suis encore en vie.
Mistral, Armana prouvençau pèr[WS 1] 1863 p. 25 = Revue des langues romanes 3, 219 (1872). Bladé, Gascogne 1, 169 ‘La marâtre’ mit fast denselben Versen. Dardy, Albret 2, 131 nr. 40 ‘La marâtre pique-pâte’.
[419] Italienisch aus dem Tessin im Schweizerischen Archiv f. Volksk. 2, 169 ‘Il figlio risuscitato’:
Mia madre mi ha ammazzato,
Mia sorella mi ha portato,
Mio padre mi ha mangiato,
Eppure io vivo e faccio: cucù.
Archivio 7, 94 ‘La tosata tajada su a toc’ (aus Belluno). Corazzini p. 457 nr. 16 ‘Giovanniello e ’Raziella’ (aus Benevento):
Tata, Tata, u langarone,
Che faceva ogni boccone,
Sora, Sora ’Raziella,
C’ aunava l’ ussicella,
E metteve u pizzitiello,
Zi Zi Caurariello.
Spanisch: Folklore andaluz p. 105 ‘Ursuleta’. – Rumänisch: Marianu 1, 14 = Revue des trad. pop. 8, 41 = Dähnhardt 3, 407 (Stiefmutter durch den Stein erschlagen, mit dem sie nach dem Kuckuck wirft). – Die čechische Fassung in Pohádky a pov. n. lidu S. 14 nr. 8 erinnert im Eingange an Hänsel und Gretel (nr. 15); der Knabe, der sich beim Vater beklagt, wird von der Stiefmutter getötet und gekocht; der Vogel fliegt zur Näherin, zum Krämer, Schuster, Schneider und Kaufmann, wird beschenkt und singt sein Lied auf dem Dache des Vaterhauses; er fängt einen Stein auf, den die Stiefmutter nach ihm wirft, und tötet sie; dann wird er wieder zum Knaben. – Slowakisch aus Nordungarn bei Škultety-Dobšinský S. 554 nr. 63 = 2. Aufl. S. 186 nr. 15 (‘Das Mütterchen tötete mich, das Väterchen aß mich auf, und das Schwesterlein sammelte die Knöchlein, vergrub sie unterm Rosenstrauch, daraus ward ein Vögelein’. Der Vogel fliegt endlich fort ans Ende der Welt). Aus dem Komitat Zips im Sborník mus. slov. spol. 1, 86 (ebenso). Aus dem Komitat Abauj bei Czambel S. 353 § 182 (der Vogel wird beschenkt, weil er drei in eine Grube gefallene Wagen herauszieht). – Kleinrussisch bei Rudčenko 2, 35 nr. 14 (beide Eltern töten den ungeliebten Sohn und stellen dem Vogel nach; andre Leute nötigen den Vater zum Bekenntnis, die Mörder werden von Pferden zu Tode geschleift). Manžura S. 57 (ähnlich; die Eltern werden erschossen). Aus Südungarn im Etnogr. Zbirnyk 29, 304 nr. 50 (der Vater hängt die zusammengebundenen Knochen des verzehrten Knaben an einen Weichselbaum; der Vogel tötet Eltern und Stiefschwester und wird wieder zum Knaben). Bei Čubinskij 2, 475 nr. 145 verrät dagegen die eigentliche Mutter als Kuckuck den Mord ihrer Kinder. – Weißrussisch bei Gliński ³ 2, 193 nr. 10 [420] = Godin S. 12; der Eingang stimmt zu Runges pommerscher Fassung; nur verzehrt der Vater nicht das Fleisch des Knaben, statt des Machandelbaums erscheint eine Birke, und statt des Mühlsteins ein brennender Wachsstock. Federowski 2, 188 nr. 163 (der vom Vater auf Antreiben der Stiefmutter getötete Knabe, dessen Knochen die Schwester auf sein Geheiß unterm Ahorn vergräbt, wird zum grauen Täuberich, beschenkt die Schwester, tötet Stiefschwester und Stiefmutter und wird wieder Mensch). – Lettisch bei Treuland S. 267 nr. 129 (die Schwester legt die Knochen einer Meise ins Nest, die daraus ein Vöglein ausbrütet; dies läßt einen Mühlstein auf die Stiefmutter fallen, beschenkt Schwester und Vater mit Goldkranz und Fellmütze). Das Lied auch bei Baron und Wissendorf, Latwju dainas 1, 352 nr. 2169 und S. 904 (1898). Živaja star. 5, 439 = Zbiór 15, 266 nr. 11 = Dähnhardt 3, 407 (Kuckuck). – Estnisch. Unter den Deutungen von Vogelstimmen steht bei Wiedemann, Aus dem Leben der Ehsten 1876 S. 296 folgendes Lied des Kuckucks: ‘Kuku, kuku! Die Stiefmutter tötete mich, der Bruder trank mein Blut, kuku, kuku. Die Schwester aß meine Finger, der Stiefmutter mit einem Stein, kuku, kuku.’ 17 Fassungen des Märchens bei Dähnhardt 3, 408–414. – Finnisch: Aarnes Register nr. 720. – Magyarisch bei Jones-Kropf p. 298 ‘The crow’s nest’. Nyelvör 4, 138. Nagy nr. 47, vgl. Rona, Festschrift f. G. Heinrich 1912 S. 367.
In einer Erzählung der Osttscheremissen (Genetz, Journal de la soc. finno-ougrienne 7, 114 nr. 13) überredet die Stiefmutter, als Wahrsager verkleidet, ihren Mann, den Knaben zu opfern. Aus einem Knochen, den die Schwester in einer hohlen Eiche geborgen, ersteht ein Vogel, der unter dem Gesange:
‘Mein Vater hat mich geschlachtet,
Meine Stiefmutter, die Hexe, hat mich gefressen’
auf den Vater eine Windel, auf die Mutter ein Sieb wirft, so daß beide sterben, und in den Armen seiner Schwester wieder zum Menschen wird. – Arabisch aus Ägypten bei Dulac, Journal asiatique 8. série 5, 8 nr. 1 (1885): die Schwester sammelt die Gebeine des von der Stiefmutter geschlachteten Knaben Mohammed; daraus wird ein Vogel, der ihr Gold, den Eltern aber Gift zuwirft. – In der kurdischen Sage vom Vogel Gō’ín (Lerch, Forschungen über die Kurden 1, 80. 1857) dagegen wird nicht der getötete Knabe, [421] sondern seine Schwester, die den Mord offenbart und die Bestrafung der Mörderin herbeiführt, in einen Uhu verwandelt. – Wie ein oben zu nr. 28 angeführtes Betschuanenmärchen,[4] so steht auch ein Negermärchen aus Louisiana (Fortier nr. 17 ‘The singing bones’) in der Mitte zwischen dem singenden Knochen und dem Machandelboom. Hier hört der Mann, der unwissend seiner Kinder Fleisch verzehrt hat, unter dem Steine im Hofe den Gesang erklingen:
Nous [notre] moman tchué [tuait] nous,
Nous popa manzé [mangeait] nous;
Nous pas dans la bière,
Nous pas dans cimetière.
Mit dem singenden Knochen (nr. 28) hat unser Märchen die Aufdeckung eines schaurigen Verwandtenmordes durch ein Lied gemeinsam; nur singt dies nicht ein aus den Gebeinen des Erschlagenen verfertigtes Musikinstrument, sondern der Geist des getöteten Knaben macht in Vogelgestalt die Untat überall kund, vollzieht selber an der argen Stiefmutter das Rachewerk und kehrt dann wieder ins Leben zurück. – Der Machandelbaum, unter dem die rechte Mutter begraben wird und auf dem der Vogel zum Schluß seine menschliche Gestalt wieder erhält, ist der im Hochdeutschen Wacholder (Queckholder, Reckholder, ags. cvicbeám, lat. juniperus) genannte Baum, über dessen Zauberkräfte J. Grimm, Myth. ³ S. 618. 3, 188; Kl. Schriften 2, 276 und Perger, Pflanzensagen 1864 S. 346 zu vergleichen ist. Dagegen ist die bei Hermann von Sachsenheim (Meister Altswert 1850 S. 177, 34) genannte ‘Fraw Wecholter’ eine Figur aus dem Romane von Herzog Herpin (Simrock, Volksbücher 11, 304). – Die böse Stiefmutter, von der ein altes Sprichwort sagt: ‘Stiefmutter Teufels Unterfutter’, verweist an viele andere Märchen, wie Brüderchen und Schwesterchen (nr. 11), die Männlein im Walde (13), Aschenputtel (21), Frau Holle (24), Sneewittchen (53), Einäuglein (130), die weiße und die schwarze Braut (135), die wahre Braut (186), wenngleich sich dort ihre Bosheit nicht bis zum [422] Kannibalismus (Macculloch p. 295) steigert.[5] – Die List, jemanden etwas in einer tiefen Kiste suchen zu lassen und den Deckel plötzlich zuzuschlagen, erscheint schon bei Gregor von Tours, Historia Franconum 9, c. 34 (MG. Scr. rer. Meroving. 1, 389: Rigundis) und in der Völundarkviþa 23 (Gering, Edda S. 145), wo der Schmied die beiden Königssöhne in seine Geschmeidetruhe blicken läßt; vgl. Rittershaus S. 35. 129. Abzuweisen ist aber die von Wackernagel, Kl. Schriften 3, 240 herangezogene Legende von dem wiederbelebten Kinde in der Äpfeltruhe (Abraham a S. Clara, Bescheidessen S. 513).
Bei der Wiederbelebung des getöteten Knaben sind zwei Stufen zu unterscheiden, die sonst einzeln vorkommen: die gesammelten Gebeine werden in einen Vogel, und der Vogel in das Kind verwandelt. Die Umgestaltung des von der Mutter geschlachteten und gekochten Kindes in einen Vogel kennt schon die griechische Sage von Itys und Prokne (Preller, Griech. Mythologie ³ 2, 143. Roscher, Mythol. Lexikon 2, 1, 69), wie ja die Erscheinung der Seele in Vogelgestalt eine weit verbreitete Vorstellung ist (J. Grimm, Myth. ³ S. 788. 3, 246. Liebrecht, Gervasius von Tilbury S. 115. Germania 1, 421. Weicker, Der Seelenvogel 1902. De drei Vügelkens, unten nr. 96).
Das Sammeln der Knochen kommt in den Mythen von Osiris und Orpheus (Preller ³ 2, 487. Gruppe, Griech. Mythologie 1, 297. 2, 1421. Roscher 3, 1, 1165) vor; und vielfach folgt darauf eine wunderbare Wiederbelebung, so in der Sage von dem geschlachteten und verzehrten Knaben Pelops, den Zeus belebt, indem er zugleich das von Demeter verzehrte Schulterblatt durch Elfenbein ersetzt (Preller ³ 2, 384. Roscher 3, 2, 1870), ferner im Märchen vom Bruder Lustig (nr. 81) und vom Fitchersvogel (nr. 46), in der Sage von dem ertrunkenen Kinde, dessen Gebeine die Mutter bis auf ein Fingerknöchelchen in die Kirche trägt (Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre B. 8, Kap. 9 = Grimm DS. nr. 62), in der altdänischen Ballade von Mariboes Quelle (W. Grimm, Altdän. Heldenlieder 1811 S. 84), in der die Königin den zerstückten Grafen belebt, in der finnischen Kalevala, wo Lemminkäinens Mutter die Reste ihres [423] Sohnes aus dem Wasser sammelt (Schiefner 1852 S. 78). In der jüngeren Edda (Gylfaginning c. 44; Gering, Edda S. 334; v. d. Leyen 1899 S. 40; Laistner, Rätsel der Sphinx 1, 83; Clouston 2, 407; v. Sydow, Danske Studier 1910, 65 ‘Tors färd till Utgård’) läßt Thor, der mit Loki beim Bauern einkehrt, die Knochen der geschlachteten und verzehrten Böcke auf den Fellen zusammenlegen und belebt sie mit seinem Hammer, doch weil Thialfi einen Schenkelknochen gespalten hat, lahmt ein Bock. Das lange Fortleben dieser Erzählung, die auch in der Legende vom h. Germanus (Nennius, Historia Britonum p. 48 ed. San Marte. Acta Sanctorum Julii 7, 283. Jac. a Voragine, Legenda aurea c. 107) eine alte Parallele hat, zeigen die Nachweise bei R. Köhler 1, 259. 273. 586 und bei v. Sydow; vgl. noch Vonbun, Sagen Vorarlbergs 1858 nr. 35. Schweizer Archiv 5, 289. 301. Jegerlehner, Sagen aus dem Unterwallis 1909 S. 171. 172. Heyl, Volkssagen aus Tirol 1897 S. 435. 676 (Hexe gebraten, hölzerne Rippe eingesetzt). Reiser, Allgäu 1, 55 nr. 40–41. Bünker S. 79 nr. 38. Kbl. f. nd. Sprachforschung 22, 11 = Busch S. 114. Sébillot, Folklore de France 2, 393. 3, 154. 160. Wesselski, Nasreddin 1, XXIV (serbisch). Etnograf. Zbirnyk 30, 113 nr. 54 (ein büßender Priester pfeift einem Vogel, tötet, brät und verzehrt ihn; die aus dem Fenster geworfenen Federn und Knochen werden wieder zum Vogel). Etnograf. Obozr. 45, 174 nr. 3 (armenisch; eine Rippe des von den Waldgeistern verzehrten Stiers durch einen Nußbaumzweig ersetzt). Sbornik Kavkaz. 12, 84 (kabardinische Polyphemsage; der Riese speit auf die Knochen der acht gefressenen Brüder); 27, 3, 63 nr. 7 (ossetisch; der h. Awsaty bewirtet Gäste mit Hirschfleisch); 32, 2, 16 (tatarisch; der gebratene Hirsch wird wieder lebendig, als der Jäger ‘Bismillah’ sagt). Boas, Indianische Sagen 1895 S. 358 nr. 97. In der Negersage [vor 1822] lernt Nanni von der Mutter das Fleisch eines jungen Huhns essen und Federn und Knochen wieder zusammensetzen. – Die Strafe eines vor der Tür aufs Haupt fallenden Mühlsteins kennt schon die Edda in der Erzählung von den beiden Zwergen Fjalar und Galar (Bragarœður bei Simrock, Edda 1864 S. 331; anders der junge Riese, unten nr. 90); vgl. J. Grimm, Rechtsaltertümer ⁴ 2, 277. Liebrecht, Zur Volkskunde S. 298.
- ↑ Vgl. die sorgfältige Untersuchung von R. Steig, Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm (Archiv f. neuere Sprachen 107, 279). Im Archiv 110, 9 weist Steig darauf hin, daß J. Grimm 1813 in den Altdeutschen Wäldern 1, 11 (Kommentar zu einer Stelle in Eschenbachs Parcifal) das Märchen vom Wacholderbaum in Arnims Fassung zitiert, nicht in der der Kinder- und Hausmärchen. 1811 heißt es in Eichendorffs Roman ‘Ahnung und Gegenwart’ (Sämtliche Werke 1864 2, 50. Ibing, Das Verhältnis Eichendorffs zu Volksbrauch, Diss. Bonn 1912 S. 103): ‘Unsere Wärterin erzählte uns dann gewöhnlich das Märchen von dem Kinde, dem die Mutter den Kopf abschlug und das darauf als ein schöner Vogel draußen auf den Bäumen sang’. – Die hochdeutschen Verse des Vogels hat Fabricius (Kbl. f. nd. Sprachforschung 32, 42) in Stralsund niederdeutsch gehört:
Mīn Moder, de mi slacht,
Mīn Vader, de mi āt,
Mīn Suster, de Marleneken,
Sammelt mine Beneken,
Bindt se in’n siden Dōk,
Legt se unner den Machandelbōm –
Kiewit, Klewit,
Wat vör ’n schön’ Vagel bün ick! - ↑ Vgl. A. Hoefer, Goethes Lied ‘Meine Mutter die Hur’ und das dazu gehörige deutsche Märchen vom Machandelbaum, verglichen mit einem schottischen (Blätter f. literar. Unterhaltung 1844, 794 = Viehoffs Archiv f. den Unterricht im Deutschen 2, 3, 48).
- ↑ Abgedruckt bei R. Köhler 1, 121; vgl. Ph. Lebas, Allemagne 1, 440 (1838). J. P. Charpentier, Histoire littéraire du moyen âge 1833 p. 280. H. de Charencey, Le folklore dans les deux mondes 1894 p. 304. Revue germanique 13, 566.
- ↑ Ein andres bei Casalis, Les Bassoutos 1859 p. 360 ‘La métamorphose d’une jeune fille’ berichtet, wie das von der Mutter getötete Mädchen aus dem Wasser seine Schwester anruft: ‘Deine Mutter, Mosibutsane, hat mich zu Staub verbrannt und in den Wind gestreut; das Krokodil nahm mich auf, gab mir Menschengestalt zurück und machte mich zu dem, was ich bin.’
- ↑ Auf entfernte Parallelen wie Hofberg p. 91 ‘Mylingen’, Talvj, Volkslieder der Serben 1853 2, 184 ‘Die Hexen’ oder das von Macculloch angeführte madagassische Märchen (Folk-lore Journal 1, 273) können wir hier verzichten.
Anmerkungen (Wikisource)
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