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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

c) Vereins- und Versammlungsrecht.
Von
Von Oberlandesgerichtsrat Dr. Ernst Müller-Meiningen,
M. d. R. und M. d. A., München.


Literatur:

Handwörterbuch der Staatswissenschaften, von Conrad, Lexis, Elster u. Loening. 1911. 2. Auflage. 7. Band unter „Vereins- und Versammlungsfreiheit“, S. 382 ff. :Dortselbst die Literatur für den Rechtszustand vor dem Erlasse des Reichsvereinsgesetzes. –

Für das Reichsvereinsgesetz:

No. 482 der Drucks. des Reichstags, 12. Legislaturperiode L Session 1907.
R.G.Bl. 1908. S. 151 ff.
Kommentar zum Reichsvereinsgesetz von Dr. Ernst Müller-Meiningen und Dr. Schmid, 1908, München bei Schweitzer.
– Kommentar von Dr. Stier-Somlo, Stuttgart und Leipzig 1907.
– Textausgabe von Eugen Freih. von Sartorius, München 1908, bei Oskar Beck. –
Textausgabe von Dr. Hieber u. Bazille 1908, Stuttgart.
– Deutsches Vereins- und Versammlungsrecht von Delius, Berlin 1908. Zeitschr. für Politik.
– Der Begriff des polit. Vereins i. S. des Reichsvereinsgesetzes von Dr. Wilh. van Calker 1910.
– Lindenberg in der 4. Auflage von Stengleins Kommentar zu den strafrechtlichen Nebengesetzen des Deutschen Reichs, Berlin 1909.
Geffcken, Öffentliche Angelegenheit, polit. Gegenstand und polit. Verein nach preuss. Recht (Festschrift f. Friedberg, Leipzig 1908).

Einige geschichtliche Bemerkungen.

Im alten republikanischen Rom gewährte das Recht völlige Vereinsfreiheit. Nach den 12 Tafeln konnte jeder Verein seine Statuten frei gestalten, wenn er nur keine Normen, die den Gesetzen zuwiderliefen, aufnahm. Später nahm der Senat das Recht in Anspruch, Vereine aufzulösen, die die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit verletzten (z. B. die Bacchus-Vereine). Die politischen Vereine wurden im 2. und 1. Jahrh. vor Christus immer mächtiger und bildeten allmählich eine grosse Gefahr für den Staat. Anlässlich der katilinarischen Verschwörung wurden vom Senate fast sämtliche Vereine aufgelöst. Durch verschiedene leges Juliae während der Regierung Julius Cäsars und Augustus’ wurde die Vereinsfreiheit immer mehr eingeschränkt und schliesslich beseitigt. Nur die zuerst vom Senate, später vom Kaiser genehmigten Vereine waren erlaubt, die anderen collegia illicita, deren Teilnehmer sich des Majestätsverbrechens schuldig machten.

Diese römische Rechtsanschauung griff auch in das Vereinsrecht des Mittelalters im römischen Reiche Deutscher Nation über. Die Verbote und ihre Einhaltung waren dort freilich noch mehr wie im altrömischen Reiche Fragen der politischen Macht. Die staatliche Gewalt war bis zum Erstarken der Landeshoheit im 15. und 16. Jahrh. zu schwach, um das Vereinsleben, vor allem in den Städten trotz aller theoretischer und praktischer Versuche, dasselbe zu beherrschen, meistern zu können. Es konnte nicht die Bildung starker Verbände mit grosser öffentlich- und privatrechtlicher Macht verhindern (Gilden, Zünfte in den Städten, Ritterbünde und Rittergesellschaften beim Adel, sogar Bauerninnungen auf dem Lande; vor allen aber die grossen Städtebünde wie die Hansa usw.).

Die romanistischen Lehren der Juristen, die den rechtmässigen Bestand der Vereine trotzdem auf den Staatswillen zurückführten und daher auch dem Staate das theoretische Recht der Auflösung der Vereine gaben, waren einflusslos, bis die Landeshoheit eine kräftige Staatsgewalt schuf. Ihr gelang es, das theoretische Recht des Verbots zur praktischen Durchführung zu bringen und die Lehre zur gültigen m machen, dass freie Vereine für den Staat eine Gefahr seien.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/272&oldid=- (Version vom 1.8.2021)