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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Kleinverkehr fortwährend auf die Korrektur der Güterverteilung in den Einzelwirtschaften wie auf die Regelung des Arbeitsmarktes hinwirkt, sie erspart auch in Haushalt und Unternehmung den Einzelwirtschaften unendliche Arbeit, vermittelt die Bekanntschaft mit neu entstandenen Güterarten und setzt ihre Produzenten in den Stand, latente Bedürfnisse zu wecken, um durch ihre Zusammenfassung die Anwendung des Gesetzes der billigen Massenproduktion zu ermöglichen. Ohne sie wäre unsere arbeitsteilige Volkswirtschaft und jene allseitige Funktionsteilung unmöglich, die unser Leben so ausserordentlich bereichert hat, indem sie uns für unsere Bedürfnisbefriedigung die Kräfte zahlloser anderer dienstbar macht.

Noch tiefer und unmittelbarer greift der Handelsteil in das praktische Leben ein. Ohne seine täglichen Mitteilungen über Ernteausfall und Handelsvorräte, über Auktionen, Warenpreise, Wechsel- und Wertpapierkurse, über die Schwankungen des Angebots und der Nachfrage würde der Betrieb von Grosshandel und Fabrikation der nötigen Sicherheit entbehren und die Güterversorgung der Völker der Stetigkeit und Nachhaltigkeit verlustig gehen. Vor allem würde die richtige zeitliche Verteilung des Warenzuflusses und der Warenausfuhr unmöglich werden. Die Ausbreitung des kapitalistischen Systems, wie sie in den Riesenunternehmungen des In- und Auslandes zutage tritt, bewirkt eine Verzweigung der materiellen Interessen, nötigt zu einer fortgesetzten gegenseitigen Beobachtung der Völker, wie sie nur der hochentwickelte wirtschaftliche Spezialdienst der grossen Depeschen-Agenturen ermöglicht.

Schliesslich darf nicht verkannt werden, dass die Zeitungspresse die geistigen Kräfte einer Nation entfesselt. Man mag über den Journalistenstand, der sich bekanntermassen aus den verschiedenartigsten Elementen zusammensetzt, noch so bescheiden urteilen: das lässt sich nicht verkennen, dass die Presse eines ganzen Landes täglich eine Fülle von Kenntnissen und Urteilskraft, von Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart, von Witz, Humor, Takt und Erfahrung beansprucht, wie sie nur eine auf die freieste Grundlage gestellte Auslese zutage fördern kann. Vielen ist die Presse eine Zuflucht aus der Enge eines öden Berufslebens, eine Schule für die politische Ausbildung geworden, und man kann nur bedauern, dass die u. a. auch in der deutschen Presse herrschende Gewohnheit der Anonymität der Beiträge diese Kräfte nicht zu einer ihren Leistungen entsprechenden materiellen Stellung und zu einem persönlichen Auswirken in der praktischen Politik gelangen lässt, wie es in andern Staaten (z. B. Frankreich) nicht gerade selten vorkommt.

Das Verhältnis des Staates zur Presse ist, historisch betrachtet, ein vielfach wechselndes gewesen. Am einfachsten vielleicht hat schon Caesar den Widerstreit, der zwischen dem Staatsinteresse und dem Inhalt der Zeitungen entstehen kann, dadurch gelöst, dass er diesen letzteren den Privatkorrespondenten, welche die Provinzen mit Nachrichten versorgten, versandfertig zur Verfügung stellte. Und eine ähnliche Rücksicht scheint bei dem King-pao der Chinesen wirksam gewesen zu sein: das Volk erfährt, was es die Regierung wissen lassen will. Ein derartiges Verhalten des Staates schloss die allmähliche Entwicklung des modernen, durchaus auf sozialer Grundlage sich aufbauenden Zeitungswesens aus. Immerhin hat auch schon die reine Nachrichtenpresse der älteren Zeit und noch mehr die clandestine geschriebene Zeitung die Staatsmänner beunruhigt, und bereits die holländischen Wochenzeitungen des 17. Jahrhunderts haben mehr als einmal die Diplomatie in Bewegung gesetzt. Noch empfindlicher wirkte es, als in den englischen Zeitungen zuerst das parteipolitische Räsonnement einsetzte, und gerade das Parlament, dessen notwendige Ergänzung und Unterstützung nachmals das Zeitungswesen geworden ist, hat sich dieser Richtung am entschiedensten widersetzt. Seitdem haben die Regierungen ein ganzes Arsenal mit Waffen gefüllt, welche die Presse niederhalten sollten: Zensur und Zeitungsstempel, Konzessionspflicht, Kautionszwang, Entziehung des Postdebits, Verbot des Strassenverkaufs, administrative Beschlagnahme, und dennoch haben alle bedeutenden Staatsmänner ihrer für ihre Zwecke nicht entraten können.

Bekannt ist das Wort Friedrichs d. Gr. von den Gazetten, die nicht geniert sein dürfen, wenn sie interessant sein sollen, und dennoch hat er sie grausam verspottet, um dann doch wieder sie zur Stimmungmache durch eigne Artikel zu benutzen. Napoleon I. hat den Ausspruch getan, dass vier feindliche Zeitungen mehr Unheil anrichten können als 100 000 Soldaten; aber er hat die freie Presse in Frankreich unterdrückt. Bismarck hat sich mit grosser Virtuosität der Presse für

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/289&oldid=- (Version vom 3.8.2021)