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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Sie ist 1660, 2 Jahre nach seinem Tode, erfolgt. Aber die wiederhergestellten Stuarts vermögen sich nicht lange zu behaupten. Jakob II. wird 1688 durch „die glorreiche Revolution“ vertrieben. Die Krone wird seiner Tochter Maria und ihrem Gatten Wilhelm von Oranien gemeinsam übertragen. Als eine Bedingung ihrer Erhebung mussten sie 1689 der berühmten „Bill of Rights“, der Erklärung der Rechte, ihre Zustimmung erteilen. Von diesem Tage an herrschte in England das konstitutionelle Königtum. Die Autorität des Parlaments wurde in weitem Umfange aufgerichtet. Sein Recht der Gesetzgebung wird feierlich anerkannt, der König darf nicht mehr, wie Jakob II. es getan, von den Gesetzen dispensieren. Ebenso wird das Recht der Steuerbewilligung sichergestellt. Ohne Zustimmung des Parlaments darf in Friedenszeiten keine stehende Armee unterhalten werden. Die Mitglieder des Unterhauses sollen frei gewählt werden; ihre Rede, ihre Debatten dürfen nicht angefochten werden ausserhalb des Parlaments.

Auf der Grundlage der „Erklärung der Rechte“ ist allmählich auch das sogenannte parlamentarische System, die reine Parlamentsherrschaft erwachsen. Zu dieser Entwicklung trugen noch verschiedene Umstände bei. Zunächst ist das Aufkommen der beiden Parteien, der Whigs und Tories, zu bemerken. Aus den Gegensätzen des Bürgerkrieges hervorgegangen, vertraten die Whigs das Recht des Widerstandes und ein freies Kirchentum, die Tories das Prinzip des passiven Gehorsams und der Treue zur Staatskirche, also die einen die grösseren parlamentarischen Rechte, die andern ein stärkeres Königtum. Seither haben freilich die Prinzipien und Programme der beiden Parteien oft gewechselt. Man erkennt allenfalls in den heutigen Liberalen und Konservativen (Unionisten) noch die Nachfolger der ehemaligen Whigs und Tories. Für die Technik des Parlamentarismus aber tritt die Bedeutung der Programme zurück hinter der Tatsache, dass es überhaupt zwei Parteien sind, die miteinander um die Herrschaft im Parlamente ringen. Wenn es auch noch bis tief ins 18. Jahrhundert hinein zum guten Ton gehört, ihr Vorhandensein zu beklagen, als ob die Einheit der Nation dadurch verloren sei, so verschwinden sie doch nicht mehr. Für den Souverän folgt daraus die Notwendigkeit, sich mit derjenigen Partei ins Einvernehmen zu setzen, welche die Mehrheit im Unterhause besitzt. Insofern er sich allmählich gezwungen sieht, mit der Zusammensetzung seiner Ministerien der wechselnden Übermacht der einen oder der anderen Partei im Parlamente zu folgen, erhält man nun das Bild von Whig- und Toryministerien. Wilhelm III. (1688 bis 1702) und Königin Anna (1702–1714) haben es gelegentlich noch mit gemischten Ministerien versucht. Mit der Thronbesteigung des Hauses Hannover (1714) wird das Parteikabinett die Regel.

Um dieselbe Zeit wirken zwei Umstände auf die Schwächung der Monarchie hin, insofern sie nicht schon an sich als ein Zeichen ihrer Schwäche zu gelten haben. Der erste betrifft den Anteil der Krone an der Gesetzgebung. Nach der Verfassung wird eine in beiden Häusern des Parlaments angenommene Vorlage erst durch die Zustimmung des Königs zum Gesetz. Diese Zustimmung ist zum letztenmal 1708 von der Königin Anna versagt worden, seither niemals wieder. Damit schied die Krone zwar nicht rechtlich, aber doch tatsächlich aus der Reihe der gesetzgebenden Faktoren aus, deren es fortan nur noch zwei gab, nämlich die beiden Häuser des Parlaments. In zweiter Linie ist hier von der veränderten Stellung des Kabinetts zu reden. Dieses war im 17. Jahrhundert entstanden als der Kreis der höchsten Staatsbeamten, welche regelmässig unter dem Vorsitz des Souveräns die wichtigsten Staatsangelegenheiten zu entscheiden pflegten. Das Kabinett war (und ist noch heute) eine von der Verfassung nicht vorgesehene Behörde, von deren Existenz die Gesetzgebung nur einmal, im Jahre 1701, Notiz nahm, um sie in der „Act of Settlement“, welche das Haus Hannover zur Thronfolge berief, förmlich abzuschaffen. Der König sollte sich, war die Meinung, von dem gesetzlich anerkannten Privy Council beraten lassen, nicht aber von einem willkürlich zusammengesetzten Kollegium von Staatsbeamten. 1706 aber ward diese Bestimmung wieder aufgehoben und damit das Kabinett zwar nicht gesetzlich anerkannt, aber auch nicht mehr gesetzlich verboten.

Aber nun entzog sich das Kabinett selbst allmählich der persönlichen Leitung des Souveräns. Unter Königin Anna (1702–1714) geschieht es häufig, dass sich die Mitglieder des Kabinetts auch in Abwesenheit der Herrscherin versammeln. Sie werden dann meist als „Committee of Council“ bezeichnet. Sie arbeiten den eigentlichen Kabinettssitzungen vor, d. h. sie erwägen das Für und Wider der Beschlüsse, die zu fassen sie der Königin im Kabinette empfehlen wollen. Unter Georg I. (1714–1727) ist es zunächst nicht anders. Auch er hat in den ersten Jahren seiner Regierung die Minister im Kabinette um sich versammelt. Doch es geschieht allmählich seltener, und von regelmässigen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/409&oldid=- (Version vom 21.8.2021)