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Weltanschauungen gegeben worden, welche die Zeit vom 15.–18. Jahrhundert hervorbrachte. Es ist dies ein sehr wichtiger und wohl zu beachtender Punkt; hier erscheint die Entwicklung des politischen Absolutismus wieder vollkommen nicht bloss in den allgemeinen geschichtlichen Vorgang sondern sogar auch im Einzelnen in die Materien der Kulturgeschichte eingebettet. Der Gang der Entwicklung der Weltanschauung dieser Zeit brachte es nun mit sich, dass anfangs für die Konstruktion des Staatszweckes noch nicht philosophische, sondern kirchlich-religiöse Motive massgebend waren, ein Hintergrund, der sich in der heute ziemlich geläufigen Einteilung des Absolutismus in einen patriarchalischen und in einen aufgeklärten ohne weiteres ausspricht. Freilich war bei alledem nicht ausgeschlossen, dass irgend ein absoluter Herrscher in irgend einem der kleinen Territorien von der Bedeutung dieser grossen Strömung keine Notiz nahm und auf eigene Faust als ein Tyrann regierte. Einige Beispiele dieser Art gehören bekanntlich zu den Kuriosen der deutschen Geschichte des 17. und auch noch, ja erst recht 18. Jahrhunderts. Im ganzen aber erschien der Zweck des Staates jetzt von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr durch die Staatstheorien und damit durch das Produkt einer allerdings noch in kleinem Kreise sich abspielenden öffentlichen Meinung geleitet, eine Erscheinung, welche es verstehen lässt, dass in der zweiten Hälfte des 18 Jahrhunderts unter dem Eintritt grosser, neuer seelischer Verhältnisse der ausgehende absolute Staat in einer uns heute kaum noch verständlichen Weise den Einwirkungen der nunmehr immer kräftiger werdenden öffentlichen Meinung anheim fiel.

V. Der moderne Staat.

Der Staat der modernen Demokratie, der in seinen Grundzügen allen staatlichen Entwicklungen des mittleren und westlichen Europas gemeinsam ist, scheint an erster Stelle aus wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Vorgängen hergeleitet werden zu müssen. In dieser Hinsicht ist für ihn vor allen Dingen die volle Entwicklung der Geldwirtschaft charakteristisch und damit die Entstehung eines Wirtschaftslebens, das man als kapitalistisch oder Wirtschaftsleben der Unternehmung zu bezeichnen pflegt. Vom kulturgeschichtlichen Standpunkte aus betrachtet, scheint als das Wesentliche dieser Wirtschaftsform vielmehr die freie Stellung der Persönlichkeit hingestellt werden zu müssen, indem das Geld als einziger Wertmesser aller Güter auf sie und ihren besonderen Wert in eine freie Beziehung, die man am besten Kredit nennen kann, gesetzt wird. Denn heute ist ja Kredit weiter nichts als die bestimmte ökonomisch-moralische Ausstattung einer gegebenen Persönlichkeit, gleichgültig, ob diese Ausstattung in rein wirtschaftlichen oder moralischen oder rechtlichen oder sonst irgend welchen Werten nutzbaren Charakters besteht. Ein wirtschaftlicher Zustand, der auf die Erzeugung eines solchen Wesens der Einzelpersönlichkeit hinausläuft oder ihm wenigstens zudrängt, war nun natürlich nicht geeignet, die alte soziale Schichtung, die Einteilung in Bauer, Bürger und Edelmann, die im westlichen Europa wenigstens im 17. und 18. Jahrhundert und bei uns noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein bestand, bestehen zu lassen. Er drängte sich vielmehr zersetzend in diese alten Bildungen ein, und so war eine soziale Umorganisation beinahe überall eine Folge der wirtschaftlichen Umwälzung. Dabei ist es dann freilich nicht geblieben. Wir werden später sehen, wie der modernen Persönlichkeit auch auf wirtschaftlichem Gebiete gewisse auf Zusammenfassung hinauslaufende Züge eigentümlich sind, welche der späteren Evolution des modernen Kapitalismus einen ganz anderen, auf Vereinigung (Trustwesen) hingehenden Charakter gegeben haben.

Indes würde es doch falsch sein, als tiefstes historisches Motiv des neuen Zeitalters nur unmittelbare Zusammenhänge wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Natur anzusehen. Vielmehr zeigt in diesem Falle ganz besonders stark die deutsche Geschichte, dass es sich auch diesmal zuunterst um einen rein psychologischen Vorgang handelt, der seinerseits allerdings wohl durch wirtschaftliche oder soziale Reize ausgelöst werden kann, dies aber keineswegs braucht, wie denn in Deutschland die entscheidende Bewegung schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus ganz anderen, wesentlich schon den höheren Kulturzweigen angehörigen Entwicklungen hervorgegangen ist. Es wird über diesen Punkt bald ausführlich Rechenschaft gegeben werden. Das psychologische Moment, das hier in Betracht kommt, kann man ab das des Subjektivismus bezeichnen. Wir

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/47&oldid=- (Version vom 4.7.2021)