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im Anzuge ist) erobert haben. Die allgemeine Einkommensteuer trug in den deutschen Bundesstaaten 1904 erst 294 Millionen, 1912 dagegen (immer nach den Voranschlägen) 547 Millionen Mark und die Vermögenssteuer 1904 43 Millionen, 1912 83 Millionen Mark. Das ist eine Steigerung des Ertrags binnen nur 8 Jahren bei der Einkommensteuer um fast 80, bei der Vermögenssteuer sogar um fast 100%. Bringt die Einkommensteuer heute bereits mehr als die Hälfte (1910 55%) sämtlicher bundesstaatlicher Abgaben, so ist der Zeitpunkt wohl abzusehen, wo sie mit ⅔ an denselben beteiligt sein wird. Ihr zur Seite ist die Vermögenssteuer auf dem Eroberungszug durch die Bundesstaaten begriffen. 1904 erst mit 6,77%, 1910 mit 7.88% an dem Abgabenertrag beteiligt, geht sie den 10% mit Sicherheit entgegen. Das Vordringen dieser beiden Prinzipalsteuern erfolgt im wesentlichen auf „Kosten“ 1. der Ertragssteuern, 2. der Verkehrs-, 3. der Verbrauchssteuern.

Ob der Ersatz der alten Ertragssteuern durch die Einkommens- und Vermögenssteuer nicht zu radikal war und hier nicht einer Doktrin zu weitgehende Opfer gebracht wurden, kann übrigens Gegenstand der Kontroverse sein. Der alte Satz des Franzosen Parieu „Tout vieil impôt est bon“ gilt zumal für jene Objektsteuern, die sich im Werte der Objekte längst kapitalisiert und dank dem Besitzwechsel für die heutigen Besitzer amortisiert haben.

Was die indirekten Steuern in den Bundesstaaten betrifft, so wird deren Position im Wesentlichen durch die süddeutschen Biersteuern gehalten. Daneben spielt noch die Weinsteuer der drei Staaten des deutschen Südwestens und die Schlachtsteuer in Sachsen eine Rolle.

Eine „Stärkung“ hat die Position dieser Steuern letzthin durch die Erhöhung der Biersteuer, in welcher Bayern dem norddeutschen Brausteuerverein folgte, erfahren.

Das System der bundesstaatlichen Steuern dürfte nach allgemeiner Basierung derselben auf Einkommen- und Vermögenssteuer auf lange hinaus wenig grundsätzlichen Änderungen unterworfen sein. Hier also verhältnismässige Ruhe, gegenüber der steten Bewegung im Reiche, wo eine „Finanzreform“ der andern folgt und nach dem früher Gesagten folgen muss. Nur insofern die Wellenkreise dieser Bewegung im Reiche die Einzelstaaten treffen, sind auch diese in Unruhe und in die Notwendigkeit versetzt, gelegentlich nach neuen Ertragsquellen Ausschau zu halten.

Zur Würdigung der bisherigen Entwicklung auf die Einkommen- und Vermögenssteuer hin ist zu sagen, dass sie den Forderungen der Sozialpolitik weitgehend Rechnung trägt. Sind doch die alten Ertragssteuern im Unterschiede zur modernen Einkommensteuer nichts weniger als progressiv gewesen, wie sie ja auch steuerfreie Existenzminima, Rücksichten auf die Kinderzahl, Berücksichtigung anderweitiger persönlicher Verhältnisse nicht kannten und ihrer Technik gemäss nicht kennen konnten. Ihre Ersetzung durch die Einkommen- und Vermögenssteuer bedeutet also Verdrängung eines wenn nicht anti-, so jedenfalls asozialen Steuersystems durch ein entschieden soziales.

IV. Die Gemeinde-Abgaben.

1. Das System.

Angesichts des steigenden Umfangs der kommunalen Auf- und Ausgaben bei im allgemeinen bereits durch Staat und Reich in Anspruch genommenen Steuerquellen stellt das System der Gemeindeabgaben schon seit längerer Zeit und heute wieder eines der schwierigsten Probleme der Finanzpolitik dar.

In Preussen als solches bereits kurz nach Gründung des Reiches anfangs der 70er Jahre empfunden und bezeichnet und von Miquel Anfang der 90er Jahre in Zusammenhang mit seiner Staatssteuerreform einer vorläufigen – von ihm allerdings endgültig gedachten – Lösung zugeführt, lebt es heute wieder auf, da die Gemeinden mit den ihnen zugewiesenen Abgaben nicht das Auslangen finden, überdies aber diese ihre Abgaben eine Steigerung ihrer Ergiebigkeit fast nicht mehr zu gestatten scheinen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/115&oldid=- (Version vom 11.9.2021)