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mit wenigen Ausnahmen zugestimmt.[1] Bei dem Reichsfinanzgesetz von 1913 zeigte sich eine ähnliche Differenz zwischen Konservativen und Reichspartei.

Im übrigen haben die neuesten Verhandlungen über die Finanzfrage eine Rechtfertigung der konservativen Auffassung gebracht. Im Jahre 1909 hatte die Linke die indirekten Steuern für geschlossen erklärt, dagegen den weiteren Ausbau der direkten für das Reich verlangt, im Namen speziell von Handel und Industrie, während die Konservativen die Verwertung der direkten Steuern durch das Reich (abgesehen von der Erbschaftssteuer, mit der angegebenen Differenz) verurteilten. Im Jahre 1913, in dem dann mit dem Ausbau der direkten Steuern im Reich Ernst gemacht wurde, erhoben sich dagegen laute Klagen gerade aus den Kreisen der Bank- und Handelswelt. Der Abgeordnete Bassermann erklärte (nachdem der Reichstag seine Beschlüsse gefasst), dass es nun kaum möglich sein dürfte, die „Besitzsteuerung“ noch mehr zu steigern; für etwaige weitere finanzielle Anforderungen bliebe nur die „Einführung von Staatsmonopolen“ übrig. In den Einzelstaaten, vor allem in Preussen, haben die Konservativen um die Ausbildung und Verschärfung der direkten Steuern grosse Verdienste.

Den Kampf gegen das Manchestertum haben die Konservativen ferner durchgeführt durch ihre Mitwirkung (teilweise gaben sie hierbei die entscheidende Anregung) auf den Gebieten der Wuchergesetzgebung,[2] der Nahrungsmittelpolizei, des Gewerbewesens (Schutz des Handwerks), der sozialen Gesetzgebung.

Die soziale Gesetzgebung des Deutschen Reichs ist in der Hauptsache das Werk Bismarcks; sie hat aber Anknüpfungspunkte in älteren Erscheinungen: in der Fabrikgesetzgebung des alten preussischen Staats,[3] in Bestrebungen, die religiösen Motiven entspringen, endlich in einer Bewegung der deutschen Wissenschaft. In den konservativen Kreisen reichen jene Bestrebungen weit zurück;[4] kurz vor der Inaugurierung der Bismarckschen Sozialpolitik waren sie in verstärktem Masse durch Stöcker aufgenommen.[5] Bismarck fand für seine Sozialpolitik an den Konservativen ebenso seine besten Bundesgenossen wie für seine Wirtschaftspolitik. Von den liberalen Parteien gehörten wohl einzelne Mitglieder dem wissenschaftlichen Kreis an, der der Sozialpolitik das Wort redete; die Parteien als solche aber standen ihr ablehnend gegenüber. Doch gewann Bismarck die Nationalliberalen, die 1880 ihre ganz manchesterliche Linke durch die „Sezession“ verloren. Diese und die Fortschrittspartei bekämpften die Sozialreform fast zwei Jahrzehnte lang. Die Konservativen haben sich wie am Anfang so auch weiterhin zu ihr bekannt. Freilich sind bei der Fortführung der sozialpolitischen Gesetzgebung auch Schwierigkeiten hervorgetreten: die Konservativen haben anerkannt, dass die Sozialpolitik zugunsten der industriellen Arbeiter eine Grenze an der Leistungsfähigkeit der Industrie und an der Notwendigkeit der Erhaltung eines gewerblichen Mittelstandes finden müsse. Im einzelnen lassen sich in der Stellung der konservativen Kreise zur Sozialreform verschiedene Schattierungen wahrnehmen: die einen betonen mehr den einen, die andern den andern Gesichtspunkt. Zeitweilig haben die Deutschkonservativen sich der Sozialpolitik mehr geneigt gezeigt als die Freikonservativen (Frh. v. Stumm). Doch ist dieser Unterschied kein dauernder gewesen, wie denn der im Januar 1907 gewählte Abg. Linz, der Vertreter des Industriearbeiter-Wahlkreises Barmen-Elberfeld, einer der eifrigsten Sozialpolitiker, der Reichspartei beitrat.

Über das Verhältnis von Staat und Kirche sprechen sich die konservativen Programme von 1876 und 1892 in bestimmter Weise aus. Es wird nicht ein christlicher Staat im Sinn einer Theokratie gefordert, aber „die Erhaltung und Kräftigung der christlichen Lebensanschauung in Volk


  1. Historisches zu dem Streit um die Erbschaftssteuer s. in meiner Schrift: Die politische Lage im Reich und in Baden (Heidelberg 1910 C. Winter).
  2. Vgl. den Art. Wucher im Wörterbuch der Volkswirtschaft (hergg. von Elster).
  3. Vgl. G. K. Anton, Geschichte der preussischen Fabrikgesetzgebung bis zu ihrer Aufnahme durch die Reichsgewerbeordnung (Leipzig 1891). S. 57 f. vergleicht er die Gesetze des alten (absolutistischen) preussischen Staats mit den entsprechenden englischen Gesetzen und entscheidet den Vergleich zugunsten Preussens.
  4. Vgl. dazu meine angeführte Abhandlung über die Anfänge der konservativen Partei in Preussen.
  5. Zu der Biographie Stöckers von D. v. Örtzen vgl. den inhaltreichen Art. von H. v. Petersdorff in der Konservativen Monatsschrift 1911. Februarheft.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/26&oldid=- (Version vom 29.8.2021)