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eine ausgebildetere und zersplittertere sein muss. Die Durchführung der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung bedingt aber wiederum, dass die Einzelsteuern, aus welchen sich die Mehrheit in der Gesamtbesteuerung zusammensetzt, nicht etwa ohne jede weitere innere Berührung zusammenhangslos lediglich nebeneinander gestellt sind, sondern dass sie im Hinblick auf das Ganze, das sie bilden sollen, eng ineinander gegliedert und in sich verbunden werden, dass sie in einen festen inneren Zusammenhang gebracht sind und so ein systematisches Ganzes ausmachen, in welchem sich die Gerechtigkeit der Steuerverteilung zu verwirklichen hat. So werden wir es also stets mit einem Steuersystem zu tun haben, in welchem eine mehr oder weniger grosse Anzahl von Einzelsteuern folgerichtig und zweckentsprechend behufs gerechter Steuerverteilung zusammengefügt sein muss.

Vollkommen ausgeschlossen wird es dabei erscheinen, ein sozusagen Normalsteuersystem zu allgemeiner Annahme zu bilden, in welchem eine Reihe als vorzugsweise berechtigt anerkannter Einzelsteuern unter sachgemässer Durchführung zum Ganzen ineinandergegliedert und gleichzeitig die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung für dieses Ganze voll zum Durchbruch gebracht wäre. Selbst bei mustergültigster Ausgestaltung würde ein solches Normalsteuersystem sich für jede etwaige praktische Durchführung als unbrauchbar erweisen, denn die Besteuerung als solche ist zu eng einerseits mit den tatsächlichen Verhältnissen und andererseits der historischen Entwicklung des einzelnen Gebietes verknüpft, als dass sie irgendwie eine Schematisierung, wie sie in dem Normalsystem liegen würde, vertragen könnte. Dementsprechend ist wiederum für jedes Gebiet eines besonderen Steuersystems oder für den Gesamtüberblick einer Mehrheit von Steuersystemen, unter welchen jedes einzelne seine Eigenart in verschiedenster Weise bald mehr bald weniger stark hervortreten lässt, Rechnung zu tragen.

Die praktische Lösung für unsere Frage wird dadurch zweifellos zu einer verwickelteren. Eine ähnliche tatsächliche Erschwerung liegt bei uns des ferneren in den besonderen deutschen Verhältnissen, dass wir hier in formeller Unabhängigkeit von einander einerseits die Finanzhoheit des Reiches und andererseits die der einzelnen Bundesstaaten haben, welche beide selbständig auf dem Gebiet der Besteuerung vorgehen und die Bevölkerung des Deutschen Reichs mithin in doppelter Weise steuerlich belasten, wozu des weiteren dann noch die in verschiedener Art mit Finanzhoheit ausgestatteten grösseren und kleineren öffentlichen Verbände in den Bundesstaaten hinzutreten. Unter dieser Mehrheit der Steuergewalten muss naturgemäss für die Gesamtbesteuerung der Deutschen Bevölkerung sich eine Gerechtigkeit in der Steuerverteilung um so schwieriger durchführen lassen.

5. Oberste Steuerprinzipien.

Die theoretische Grundlage für die Frage nach der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung bilden die sog. obersten Steuerprinzipien, welche ihrem allgemeinen Gehalt nach wohl ziemlich übereinstimmend anerkannt worden sind, obgleich im einzelnen formell manche Abweichungen bestehen. Wenn wir dieselben nachstehend gesondert darstellen, so folgen wir dabei im wesentlichen der von Adolph Wagner angewandten Unterscheidung, die im allgemeinen weitere Anerkennung gefunden hat. Vorweg sei noch bemerkt, dass von vornherein hier und überhaupt bei Festlegung von Steuerprinzipien unter Steuer nur die formell und materiell zu Recht bestehende Steuer verstanden sein kann; lediglich für eine solche wird man grundsätzlich die Gerechtigkeit in der Verteilung erörtern können. Die Gesetzmässigkeit der Steuer, welche für das materielle und das formelle Steuerrecht gegeben sein muss, führen wir deshalb nicht mit unter den obersten Steuerprinzipien an; sie ist eine unumgängliche Vorbedingung der Besteuerung, wie sie für uns in Frage kommt, und ist hier ohne weiteres in dem Begriff der Steuer gegeben.

a) Finanzpolitische Prinzipien.

Die finanzpolitischen Prinzipien ergeben sich aus der Stellung, welche die Steuern in der Finanzwirtschaft einnehmen, aus dem inneren finanziellen Zweck der Steuern, welche zur Deckung des den öffentlichen Gemeinwesen durch die Erfüllung ihrer Verpflichtungen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/89&oldid=- (Version vom 7.9.2021)