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5. Die Organe der Kunstpflege für die genannten Aufgaben sind, zum Glück gerade in Deutschland, äusserst mannigfach. Das letzte Ziel ist, den guten Geschmack wieder, wie vor alters, zu etwas Selbstverständlichem zu machen und auf allen Gebieten den Künstlern freie Bahn zu schaffen. Das würde geschehen, wenn jede Instanz, die ihrem Tun einen sichtbaren Ausdruck zu geben hat, für die richtig aufgefasste Kunst gewonnen wäre. Heute bauen Staaten und Gemeinden, Landschaften und einzelne Behörden; es wäre weder möglich noch erwünscht, ihr Tun zu zentralisieren. Ein Teil der Aufgaben der Kunstpflege berührt sich mit dem Unterricht und der Wissenschaft; es ist deshalb verständlich, dass die oberste Verwaltung der Kunst den Unterrichtsministerien eingegliedert ist. In Frankreich bilden darin die Beaux-arts eine besondere, grosse Abteilung; ja im Jahre 1882 hat man es einige Monate lang mit einem eigenen Minister der schönen Künste versucht. Die Interessen des Kunstgewerbes berühren sich andererseits vielfach mit dem Gewerbe und sind deshalb an einigen Stellen, wenigstens nach der handwerklichen Seite hin, den Gewerbeministerien zugewiesen. Dass die Pflege der Kunst an den öffentlichen Bauwerken sich aus der staatlichen Bauverwaltung und den Ministerien der öffentlichen Arbeiten nicht wohl abzweigen lässt, braucht man nicht zu bedauern, so lange diese Instanzen die künstlerischen Forderungen der Zeit verstehen. Es bleibt jedoch zu erwägen, ob es noch zeitgemäss ist, dass alle Bauten ausschliesslich oder überwiegend von den Baubeamten entworfen werden, oder ob nicht diese wichtigsten und nachhaltigsten Äusserungen der Kunst eines ganzen Volkes mehr als bisher dem Wettbewerb aller künstlerischen Kräfte, der Auslese der Besten, zugänglich gemacht werden sollten.

6. Wenn bisher vorwiegend von den bildenden Künsten die Rede war, so liegt das daran, dass diese der Öffentlichkeit die bedeutendsten Aufgaben stellen und deshalb das Versuchsfeld für die ganze Kunstpflege geworden sind. Für die Musik unterhalten einzelne Staaten Lehranstalten wie für die bildende Kunst; das Conservatoire de musique in Paris datiert aus den Jahren 1784 und 1792; in Berlin steht die Kgl. Hochschule für Musik neben der Hochschule für die bildenden Künste; die grosse Mehrzahl der Konservatorien indes gehört Vereinen oder Privaten. Mit dem Gesangs- und Musikunterricht in den Schulen beschäftigt sich neuerdings ein musikpädagogischer Kongress. Dem Volksliede und dem volkstümlichen Chorgesang widmet der deutsche Kaiser ein tätiges Interesse. Erfreuliche Aufnahme finden die vielerlei Bemühungen, den breiteren Kreisen des Volkes gute Musik vorzuführen und nahe zu bringen.

Noch wird vorwiegend nur privat gefördert, was für die Schulung des rhythmischen Gefühls in Musik und Tanz von verschiedenen Seiten (Dalcroze, Isadora Duncan u. a.) begonnen worden ist. Man darf hier auch die Versuche zu einer künstlerischen Belebung der Gymnastik begrüssen.[1]

Die Kunst der Bühne liegt in Deutschland zum Teil noch in der Hand der Hofverwaltungen und ist der staatlichen Kunstpflege entrückt. Tatkräftig sorgt eine Reihe deutscher Städte für ihre Theater und versucht verschiedene Wege, um sie zugleich künstlerisch und wirtschaftlich zu sichern. Doch bedarf die Bühne des freien Spiels der Kräfte.

Die kleinste Angriffsfläche für die Kunstpflege bietet die Dichtkunst. Die Schulmänner haben sich neuerdings vielfach mit der Behandlung der Dichtwerke in der Schule befasst.[2] In den Vordergrund aber rückt die Frage, wie sich gute und wohlfeile Literatur in das Volk tragen und der Schund mit allen seinen Gefahren bei den Erwachsenen und bei der Jugend bekämpfen lässt. Es ist erfreulich festzustellen, dass alle diese Probleme, die zum Teil hier nur angedeutet werden konnten, nirgend gründlicher und begeisterter erörtert und in Tat umgesetzt werden als im heutigen Deutschland. Unter den Vorkämpfern für eine künstlerische Kultur dürfen Dr. Ferdinand Avenarius und sein „Kunstwart“ nicht ungenannt bleiben.[3]




  1. 3. Kunsterziehungstag in Hamburg 1905.
  2. 2. Kunsterziehungstag in Weimar 1903.
  3. Weitere Literatur, die hier nicht mehr aufgeführt werden kann, findet man in der Bibliothek des Kgl. Kunstgewerbe-Museums in Berlin.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/186&oldid=- (Version vom 28.11.2021)