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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Beamtungen ergeben; insbesondere das Ausweisungswesen fand manche Normierung.[1] Für Deutschland ist zu unterscheiden:

Das Reichsrecht berührt die Sicherheitspolizei, die an sich kein allgemeiner Kompetenzgegenstand der Gemeinschaft ist, mehrfach im Zusammenhang mit andern Rechtsstoffen, insbesondere mit Freizügigkeit, Presse, Strafrecht, Vereins- und Versammlungswesen, und stellt im Verf.-Art. 68 die Zulässigkeit eines Belagerungszustandes von Reichs- (wie auch von Landes)wegen fest. Insbesondere sind die Bestimmungen im St.G.B. über Polizeiaufsicht (§§ 38, 39) und Überweisung an die Landespolizeibehörde (§§ 361, 362, ähnlich zum Teil 181a, 284) ihrem Wesen nach sicherheitspolizeiliche, welche gewisse, mit Eingriffen in die Individualsphäre verbundene Massregeln gegen gefährliche oder verkommene Rechtsbrecher präventiv gestatten. Dagegen steht das deutsche Pressgesetz, abgesehen von Anordnungen bei Krieg oder Kriegsgefahr und von einigen Ordnungsvorschriften für die Verbreitung, auf rein repressivem Boden und auch das Reichsvereinsrecht drängte im B.G.B., wie im Spezialgesetz von 1908 den Präventivcharakter wesentlichst zurück;[2] der Sicherheitspolizei ist nur insofern gedacht, als a) neben dem Reichsrecht über Vereine, Versammlungen (und Aufzüge) die allgemeinen (d. h. schon ausserhalb dieses Stoffgebiets gültigen) sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des Landesrechts Anwendung finden, soweit es sich um die Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer an einer Versammlung handelt, und b) die erforderliche Genehmigung zu öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder Aufzügen auf öffentlichen Strassen oder Plätzen wegen daraus zu befürchtender Gefahr für die „öffentliche Sicherheit“ versagt werden kann.

Ausser diesen persönlichen Rechtssphären hat das Reich eine objektive an sich gezogen und gründlichst wegen der Sicherheitspolizei geregelt, im Sprengstoffgesetze (1884) nämlich, welches Herstellung, Fabrikationsbetrieb, Besitz, Handel, Einführung, Transport regelt und den nötigen Strafschutz beigibt.

Insoweit Materien reichsrechtlich geregelt sind, ist damit das Landesrecht, insbesondere jede Befugnis aus dem dehnbaren Oberaufsichtsrecht des Staats, ausgeschaltet. Im übrigen besteht es fort und es kommen daraus namentlich in Betracht:

1. Als Schranken der Sicherheitspolizei die in manchen Verfassungen statuierten sog. Grundrechte über persönliche Freiheit,

2. die Möglichkeit ausserordentlicher Massregeln auf legalem Weg in besonderen Gefahr- oder Notfällen,

3. das bestehende Sicherheitspolizeirecht, sowohl dasjenige, welches sich für bestimmte Personenklassen, welche ihm näher stehen müssen, oder für einzelne Sachgebiete zu einem spezialisierten ausgebildet hat (vgl. IV), als das allgemeine, enthaltend die der Polizei gegen jedermann im Lande zukommenden Sicherungsbefugnisse. Als solche werden geübt – neben der Möglichkeit, Besitz und Verkauf von Waffen zu verbieten, öffentliche Aufläufe durch Befehl zum Auseinandergehen zu beseitigen, in gemeiner Not die (auch durch R.St.G. § 360 Ziff. 10, den sog. Liebesparagraphen geschützte) Aufforderung zur Hilfe, soweit sie ohne erhebliche eigene Gefahr leistbar ist, ergehen zu lassen – ein Haft- und ein Haftungsrecht in folgender Weise:

Es liegt, ganz abgesehen vom strafprozessualen Weg, innerhalb der Gewalt der Polizei, die übrigens an gesetzlich zulässige Auflagen die Geldstraffolge binden und die Ausführung


  1. Die ausländischen Gesetze hierüber, unter welchen ein belgisches vom 22. Sept. 1835 den Reigen eröffnete, sind s. v. „Ausweisung“ von Edg. Lüning im Handwörterbuch der Staatswissenschaften Bd. II 3. Aufl. S. 314 ff. zusammengestellt. Das typische Land der Asylfreiheit, Grossbritannien, regelte 1905 die Materie, indem es zwar die Ausweisung aus politischen Gründen nach wie vor ausschliesst, aber bei Aufenthalten Fremder unter einem Jahr, ferner strafrechtlich und für „indesirable aliens“ auf Grund eines limitativen Katalogs manchartiger Anlässe zulässt. Die Schweiz (Bundesverf. Art. 70) behielt sich auf diesem Gebiet eine freie Bewegung vor. Das Institut de droit international gab dem Bestreben völkerrechtlicher Regelung durch Entwurf eines Statuts 1892 Ausdruck.
  2. Vgl. Abschnitt 16 dieses Handbuches und R.Ver.Ges. §§ 1 und 7; auch schon R.Ges. vom 11. Dezember 1899 zur Aufhebung landesrechtlicher Koalitionsverbote.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/190&oldid=- (Version vom 1.12.2021)