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Frühling meines Musikstudiums versetzt, sintemal ich hier bei Baini[1] ein sehr gelehriger Schüler geworden bin. Dieser stützt mich jetzt wie eine junge Pflanze mit seinem Stabe und will mir, wie er sagt, das wahre Lebenswasser aufgießen, indem er mich in die Geheimnisse der alten griechischen Tonarten und ihre Geschichte, überhaupt in die Kapellmusik einweiht. Dieser Baini ist Chorsänger bei den Leibsängern des Papa Corento, sowie Kastratendirektor und ein wahres, altes, gelehrtes Buch und Fundgrube aller alten Musika und ihrer Geschichte. Die neue Musik liebt er unter keiner Gestalt. Ich zeigte ihm moderne Sachen von mir, aber da stand er gewaltig aus – bei jedem verminderten Intervall oder bei den durchgehenden Noten – note di gusto –, bei jeder eleganten Verzierung verzerrte er das alte Gesicht. Kurz, ich hatte mich den ersten Tag schlecht bei ihm empfohlen. Den zweiten Tag aber zeigte ich ihm einen im Kontrapunkt der Oktave durchgearbeiteten Kanon in der Quinte, und ich merkte, daß etwas Respekt vor deutscher Gründlichkeit bei ihm sich einfand, denn seit diesem Augenblicke ist der ganze Mann für mich ein anderer geworden. Ich gehe wöchentlich zwei Abende zu ihm und fühle mich jederzeit gestärkt und erquickt. Er ist der rechte Mann, den man frequentieren muß, wenn man über die griechischen Tonarten, über Canto Fermo, über die alten Choräle und die ganze Kapellmusik recht klar werden will. Das ist mein Zweck, denn alles, was ich bis jetzt aus dem Wirrwarr vorhandener Schriften herausstudierte, war teils unzulänglich, teils sehr dunkel, und da will's denn gegenüber einem Manne wie Baini, der so deutlich erklärt, was Mattei in Bologna in ein unglaubliches Dunkel hüllte, daß man den Mann bewundern muß (??? K. K.). Baini läßt mich jetzt alte Choräle nach der alten Tonart harmonisieren, lehrt sie mich nach den alten Prinzipien übersetzen und gibt mir mit einem Wort über jeden Zweifel ebensoviel Aufschluß, als andere mich mit vielen Reden verdutzt machten und mir die klare Sache recht geheimnisvoll darzustellen suchten[2]. Weswegen sollte ich mich nicht auch in dieser Musikgattung sattelfest zu machen suchen, da ich in der modernen Musik und in unserem galanten. Kirchenstil (so nennt Baini unsere geistlichen Musiken) viel Gutes zu leisten mich imstande fühle. Ich muß ein gelahrter Musiker werden, denn so scheint's der Minister auch zu wünschen, da er in seinem Briefe an den preußischen Geschäftsträger Bunsen sagt, daß ich bei meiner Rückkehr einen ausgedehnten Wirkungskreis, die höhere musikalische Bildung in Preußen betreffend, erhalten würde! Am Ende werde ich noch dereinst ein gelahrter Professor und Verfasser theoretischer Werke, da ich bis jetzt nur Bassist, passabler langfingriger Klavierspieler, schwacher Bratschiste und Komponist für den galanten Stil und für das Gefühl gewesen bin.“


  1. 1775 – 1844 Kapellmeister der päpstlichen Kapelle, bekannter Biograph Palestrinas, war mit seinen historischen Studien zu seiner Zeit vereinzelt. R.s kgl. Beschützer, Fr. Wilhelm III., hatte sich bei seinem Aufenthalte in Rom auch für Baini interessiert (vgl. F. Hiller: Aus dem Tonleben unserer Zeit 2. Band), in Deutschland wären der Heidelberger Jurist Thibaut (1774 – 1840) und der Berliner Jurist K. v. Winterfeld (1784 – 1852) mit ähnlichen Bestrebungen zu nennen,
  2. Man wird bei dieser Stelle an ein Wort in Riemanns Kontrapunktlehre erinnert, wo der Verfasser eine Charakteristik der alten Kontrapunktlehrer gibt, indem er von ihnen sagt, daß sie sich wie Zauberer geheimnisvoll einhüllen.