Ich suchte unter dem Feixen der Menge meine Sachen zusammen, schlich in den Wartesaal und begab mich daran, mich in schweren Dingen furchtbar zu betrinken. Vorher hatte ich den Portier mit heiligen Eiden und fünf Mark verpflichtet, mich, könne kommen, was da wolle, in den Zug 7,20 Uhr abends nach Karlsruhe zu schaffen.
Viele Rotweinflaschen, leere Kognakflaschen, das war meine letzte Vision, dann weiß ich nicht mehr, was mit mir geschehen ist.
Die Sonne schien mir ins Gesicht, als ich wach wurde mit einem furchtbaren Brummschädel, einem entsetzlichen Sodbrennen, eingehüllt in eine dicke Kognakatmosphäre. Ich befand mich in einem fahrenden Zug.
„Billjät vorwiese, bittäh,“ hörte ich jemand sagen. Ein Schaffner in einer fremden Uniform stand vor mir.
Verstört zog ich aus der linken Westentasche meine Fahrkarte.
„Sie hätten in Karlsruhe aussteigen müssen, wir sind bereits in Basel,“ sagte mir der Mann kopfschüttelnd.
Schon fuhr auch der Zug in den Hauptbahnhof Basel ein.
Wieder längere, kostspielige Erörterungen auf dem Stationsbureau.
Dann folgte eine schreckliche Zeit. Ein gräßlicher Fluch heftete sich an meine Fersen: unstet und flüchtig. Nie, aber auch nie saß ich im rechten Zug. Immer schlief ich ein und versäumte, wo es nötig war, aus- oder umsteigen.
Ich war während dieser irren Fahrt in Genua, Zürich, München, Leipzig, Breslau, Kattowitz, Wien,
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/202&oldid=- (Version vom 1.8.2018)