enorme Vorzug meiner Methode. Bitte sehr,“ er reichte mir die Zeichnung, drückte auf eine Schelle und fünfzehn Diener erschienen, die mich zur Tür führten.
Da stand ich nun, ein völlig gebrochener Mensch, auf der Straße mit meinem Todesurteil in der Hand und 3000 Franken ärmer. In 4½ Monaten sterben! Tränen schossen mir in die Augen. Ich dachte an die Lieben zu Hause, an meine sechs Verhältnisse, besonders an Margot, an meine Freimarkensammlung, an meine Braut, an meinen Teckel Toni, an alles, an dem mein Herz hing. Diese entsetzliche Galgenfrist von 4½ Monaten! Leben mit dieser schrecklichen Perspektive!
Irgendwo auf einer Terrasse eines Cafés in der Rue Cannebière habe ich mich an einem Marmortisch niedergelassen, mein Lungenporträt vor mir ausgebreitet und die schauerliche Zeichnung angestiert und dazu einen Absinth nach dem anderen getrunken.
So bin ich mehrere Tage umhergeirrt im Taumel vieler, vieler Absinthe und hatte das Empfinden meiner Tragödie im Alkohol überschrien. Aber ein großer Kater kam, ein monumentaler, moralischer. Fast mehr über mein würdeloses Benehmen diesem Schicksalsschlag gegenüber. Diese hündische, bürgerliche Angst, diese Hilflosigkeit einer Tatsache gegenüber!
Ich habe mich zu den Philosophen des Ostens und Indiens geflüchtet und habe mich mit meinem traurigen Geschick heldenhaft abgefunden. Ich habe den Willen zum Leben mit dem Gefühl absoluter Wurschtigkeit gegen alles, was das Morgen betraf, erschlagen. Ich habe mir einen Rotstift gekauft und genau nach der Skala und Vorschrift an meiner Lunge abgestrichen.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/220&oldid=- (Version vom 1.8.2018)