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wird alle Welt die Herrlichkeit Gottes sehen, an die jetzt seine Knechte treulich glauben.


Ich habe dich verklärt auf Erden und vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte.

 Nur dadurch und weil Jesus die ihm gestellte Aufgabe erfüllt hat, das Werk vollendet, das ihm aufgetragen war, hat er den Vater verklärt, der im Gehorsam des Sohnes und in der Frucht dieses Gehorsams, was beides die Menschheit ihm verweigert hatte, sich fand.

 So winterlich die Erde vor dem Blick des scheidenden Heilands dalag, so fest hielt er an der Vollendung des Frühlings, den er gebracht hatte. So unübersehbar die Menge derer war, die sein Wort nicht erreicht hatte, wußte er doch, daß das Evangelium in der ganzen Welt so gewiß gepredigt werden müsse, daß, wenn die Menschen schweigen sollten, die Steine schreien müßten. Das Erlösungswerk ist vollendet. Ein übermächtiges Werk, viel zu groß, als daß es nicht den Widerspruch herausfordern mußte, aber auch viel zu gewaltig, als daß es ihn nicht besiegt hätte.

 In Wirklichkeit war nichts vollbracht, das Kreuz hatte der Werbearbeit ein hartes Ende bereitet, der Tod den Mund des getreuen Zeugen verschlossen. Glich er nicht dem Manne, der einen Turm hatte bauen wollen, ohne seine Kosten berechnet, dem Herzog, der Fehde ansagt, ohne seine Kräfte bemessen zu haben? War nicht die Stunde der Gottverlassenheit nahe vorhanden? Gingen nicht über diesen und andern harten Reden viele hinter sich und wandelten fortan nicht mehr mit Jesu? Verließen ihn, als er am Kreuze hing, nicht alle Jünger?

 So widerspricht der Augenschein dem Jesuswort, und die Wirklichkeit gibt ihm Recht. Aber das ist ja gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen. Und wiederum ist es ewig gewiß, daß die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

 Alles, was der Vater dem Sohne verheißen hat, Erniedrigung des Gehorsamen bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuze, die Einsamkeit, die ihn die Tiere des Feldes preisen ließ, die Versuchung, die immer wieder bei ihm einkehrte, das Leid, das seine Tage dunkel und die Nächte schwer machte, den Unverstand der wenigen Freunde, den Mißverstand der Jünger, den Hohn und Grimm des Feindes, den Zorn des Vaters, all das hat der Sohn getragen und den Kelch, den Gott mit Galle gefüllt hatte, zur Neige getrunken. Aber als du sprachst: Es ist vollbracht, hast du auch an mich gedacht, – auch für mich eine ewige Erlösung erfunden.

 Was fehlt dem Werke außer der noch ausstehenden Offenbarung und Herrlichkeit, außer der Erscheinung, wenn die Hüllen gefallen und die Decken weggetan sind?