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den Mann, der sie erlitten hat, in seiner Weise hoch ehren und preisen. So aber hat Gott, der Herr, in der Weisheit, die alle irdische Weisheit und alle irdischen Gedanken nicht nur übertrifft, sondern vernachlässigt und vorübergehen heißt, ihn unter den Übeltätern kreuzigen lassen, wie er selbst verheißen hat dort im Garten, als die Jünger ihm die Schwerter entgegenhielten (Luk. 22, 37). „Er ist unter die Übeltäter gerechnet“ – nichts Einzigartiges war an seinem Sterben, sondern mitten unter die Übeltäter, ein Verbrecher wie sie alle, ein Unrecht und Schande verwirkt Habender wie alle andern auch, ist er am Kreuz erhöht. Wenn nur das eingetreten wäre, was der Heiland dort im Garten zu seinen Feinden gesagt hat: „Ihr seid ausgegangen als zu einem Mörder mit Schwertern und mit Stangen, mich zu fahen“ (Matth. 26, 55), so wäre die Enttäuschung seiner Feinde zutage gekommen und die Ehre des Herrn groß geworden. Aber er ist mitten unter die Übeltäter gerechnet, daß alle Schmach der Welt auf ihn sich häufte. So erhebt sich das Kreuz des Unschuldigen zwischen den Kreuzen der Schuldbeladenen, so ragt als eine stumme Frage gegen den Gott der Heiligkeit das heilige Kreuz empor, an dem der Sohn Gottes als ein Übeltäter leidet. So tritt aus diesem heiligen Schweigen des Herrn zu Gott empor der Protest all der Heiligkeit gegen die Sündenschuld, aber auch das Bekenntnis der Willigkeit, Gottes Zorn und Strafe zu erleiden. „Ja, Vater, ja von Herzensgrund, leg auf, ich will dir’s tragen“[WS 1].

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 In dieser Stunde, da der Heiland als ein Übeltäter unter Übeltätern litt, hat am Kreuz eine wundersame Zwiesprache stattgefunden. Der eine der Übeltäter, der unter dem Kreuz Jesu verspotten gelernt hat, will am Kreuz es fortsetzen und spricht: „Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns“ (Luk. 23, 39). Nächtiger Zweifel, der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Beginn der Strophe 3 aus Paul Gerhardts Lied „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ (EG 83).
Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Die sieben Worte Jesu am Kreuz. Müller & Fröhlich, München 1918, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_sieben_Worte_Jesu_am_Kreuz.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)