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von dem Gott gesprochen, dem alle Tiefen klärlich und alle Höhen erreichbar sind und alle Weiten zu Diensten stehen, von dem Gott, der es aufs beste mit dir meint.

 Also ist diese Schrift irrtumslos? Einer der größten Lehrer des 19. Jahrhunderts, der von mir so hochverehrte Kon. Hofmann sagt einmal: Wenn diese Schrift nichts weiter wäre als ein irrtumsloses Buch, wäre sie sehr wenig. Irrtumslos ist starr, ist Kälte, vornehme Abgesondertheit von allem Irrenden, Fehlenden und Fallenden. Wie eine Majestät unnahbaren Wesens würde sich dann Gott von dem irrenden Sohn des Staubes fernen, wie ein hochragendes Felsgebirge weit, weit entfernt ist von dem mühsamen Saumpfade an der Talwand. Die Schrift aber ist mehr als ein irrtumsloses Buch. Sie ist das Buch, in dem die Allmacht von der Barmherzigkeit und die Allwissenheit von der Gnade geheiligt wird. Der treue Gott spricht in diesem Buche, nicht wie Er es versteht, sondern wie du es brauchst; Er spricht nicht nach seiner Allwissenheit, sondern nach deiner Torheit; Er handelt mit dir nicht nach seiner Allmacht, sondern nach deiner Ohnmacht: dieses heilige Buch ist das größte Barmherzigkeitswerk, das je auf Erden geschah. So spricht die ewige Liebe: Ich will dich erquicken. Fehllos, truglos, irrtumslos ist alles viel zu wenig. Liebe hat dieses Buch geschaffen, Liebe hat es erhalten und in dieser Liebe ist die Wahrheit Grundton und Grundfarbe.

 Und wem gibt Er dieses Wort? Ihr sagt: was zu einem Jakob gesprochen wurde, das kann doch mir nicht gesprochen sein? Und was einer Maria galt, gilt das noch mir? Du sprichst: wenn ich nur wüßte, ob ich dieses Wort auch auf mich anwenden kann? Meine Geliebten! Wenn ich am Verhungern bin und am Verschmachten, dann frage ich nicht, ob das mir dargebotene Brot wirklich auch für mich paßt, ob es nicht vielleicht zu rauh oder zu spröde oder zu wenig schmackhaft sei. Nein,