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 Und damit dir das nicht zu schwer wird, schenkt dir Gott manchmal, daß du das Ende eines beneideten Lebens siehst. Ihr kennt vielleicht das alte Märlein, das der Dichter Seidl in einem Gedicht behandelt hat: das Glöcklein des Glückes. Ein König, der am ersten Tag seiner Regierung über dem Portale seines Palastes ein silbernes Glöcklein anbringen ließ, gelobte, dasselbe zu läuten, wenn er glücklich sei. Manchen Abend eilte er zum Glockenstrang, doch die Hand zog sich schnell zurück. Das Glück war verschwunden; denn er erhielt entweder am Abend eine traurige Kunde oder der Morgen brachte schlimme Botschaft. Das Glück kam nicht – die Glocke schwieg. So blichen des Königs Haare, der Mut ward geringer, die Arbeit schwerer, das Leben ernster und es ging zum Sterben. Und als sein letztes Stündlein kam, da hörte der König draußen auf den Gassen, auf den Gängen seiner Hofburg lautes Weinen und Schluchzen. Als er nun die Umstehenden nach dem Grunde des Klagens und Jammerns frug, antwortete man ihm: das Volk weint um seinen sterbenden Herrn! Da griff die Hand des Sterbenden noch nach dem Glockenstrang und das Glöcklein ertönte; denn der scheidende König war glücklich.

 Und wenn es dir also beschieden ist, daß du keinen Tag ganz glücklich sein kannst, so denke, es ist nicht notwendig, daß du glücklich bist, aber daß du dankbar bist, das tut not. Glaube mir, es wird dir alles leichter. Du kannst dann gönnen, was du nicht hast; denn du weißt nicht, was ein Anderer trägt. Du kannst gönnen, was du nicht hast; denn du weißt, was du besitzest.

 Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß alle böse Lust und Anfechtung aus unserm Herzen ziehe und daß, wie die Nebel vor der Sonne und die giftigen Schwaden, die aus der Tiefe nächstens aufsteigen, vor dem Licht des Tages zerrinnen, so bei uns vor dem Morgenglanz seiner Gnade, Lust und Neid vergehen. Je mehr deine Seele sich in die