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Reiche, Große, Geniale, Bedeutsame, zu dem ein Mensch fähig ist, in eine Höhe erhebt, um dann von ihm erdrückt zu werden? Als die Schlacht bei Leipzig das Ende Napoleons heraufführte, wußte Goethe nichts anderes von seinem Abgott zu sagen, als:

Der Mensch erfährt, er sei auch wer er mag,
Ein letztes Glück und einen letzten Tag.

 Das sind die Götter, an die der Mensch sich verkauft. Und nun frage sich jeder an seinem Teil, was eigentlich, nicht wer, was eigentlich sein Herz so ganz ausgefüllt hat. Was war es, das dich so erfüllte, daß du ganz beherrscht davon warst? War es das beifällige Lächeln deines Vorgesetzten, um das du warbest? War es dessen Wohlwollen, über das du Gottes Wort und Gebot leicht vergaßest? War es irgend eine Gütigkeit oder Huld eines Kranken, an dessen Lob dir viel lag? Seine Stimme schon durchdrang dich mit zauberhafter Gewalt und eine Freundlichkeit von ihm erhellte dir den Tag. Oder war es in der Stille des Kämmerleins ein immer mehr forttönendes Lobeswort, eine zarte, feine und darum so gefährliche Schmeichelei, die dich berauschte?

 Da steht der alte, eherne Gott vom Sinai mit den wie in Erz gegrabenen Zügen. Und dort dieses reiche, weiche, frohe Menschentum und Menschenlächeln. Und doch, was tröstet dich, o Seele, in deiner Todesstunde? Wenn nun alles vergeht und alles dich verläßt, hebt plötzlich aus den Tiefen deines Lebens und den Höhen deiner Ängste eine vertraute Stimme an zu tönen: Fürchte dich nicht; Ich bin der Herr, dein Gott.

 Das ist die Stimme, die dir am Morgen den Weg zeigte, die am Mittag um dich treulich klagte, die, als dein Tag sich neigte, lockend dich suchte, die in die Nacht und ihre Schrecken herein, wie ein Vater nach dir treulich ruft: